Meine zehn Lieblingspunkte aus unserem zweiten Höchstgerichtsurteil

Markus »fin« Hametner

"Besonders wichtig für ein Transparenzgesetz im 21. Jahrhundert: die Verfügbarkeit von Originaldaten in maschinenlesbarer Form. Niemand sollte mit dem Scannen von tausenden Seiten Zeit verschwenden müssen."

Im Oktober 2016 las ich einige Medienberichte, laut denen die Stadt Wien bei ihren Mitarbeitern Vorschläge für Effizienzmaßnahmen – also Einsparungen – gesammelt hat. 100 Millionen Euro sollen eingespart werden, sogar Bezirkszusammenlegungen sollten “tabulos” diskutiert werden.

Als Journalist und Mitgründer des Forum Informationsfreiheit wollte ich mehr erfahren und fragte den Wortlaut der Einsparungsvorschläge und die Prüfungsergebnisse dieser Vorschläge an. Danke  an dieser Stelle Mag. Georg Bürstmayr, der mich in dem Verfahren vertreten hat, den Juristen des Forum Informationsfreiheit für die juristische Unterstützung und dem BIV – Grün-Alternativer Verein zur Unterstützung von BürgerInneninitiativen für die finanzielle Absicherung des Verfahrens.

Kurz gefasst: die Stadt Wien verweigerte eine Auskunftserteilung, das Landesverwaltungsgericht Wien gab der Stadt recht. Das Höchstgericht zerreißt im jetzt vorliegenden Urteil alle Argumente der Stadt und des Verwaltungsgerichts und lässt wenig Spielraum für eine weitere Auskunftsverweigerung.

Mit dieser von uns erreichten Grundsatzentscheidung stärkt der Verwaltungsgerichtshof das Recht auf Auskunft von Behörden.

Hier meine Lieblingspunkte aus dem Urteil.

1) Ausnahmen von der Auskunftspflicht sind nicht absolut – zumindest nicht für NGOs und Journalisten

Wir argumentieren schon lange, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch in Österreich ein Grundrecht auf Informationsfreiheit geschaffen haben. Das Gericht folgt uns in dieser Argumentation und betont, dass jede Informationsverweigerung nicht nur vom Gesetz vorgesehen, sondern notwendig und verhältnismäßig sein müssen.

(23) Der Umfang des durch die Auskunftspflichtgesetze auf der Grundlage des

Art. 20 Abs. 4 B-VG, hier das Wiener Auskunftspflichtgesetz, eingeräumten subjektiven Rechts auf Auskunft ist […] aufgrund der in Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art. 10 EMRK im Lichte der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR verfassungskonform auszulegen. Im hier relevanten Zusammenhang ist daher im Hinblick auf die Frage, ob gesetzliche Verschwiegenheitspflichten der begehrten Auskunftserteilung entgegenstehen, eine Abwägung unter Berücksichtigung des Art. 10 EMRK vorzunehmen. Im Zuge dieser Abwägung ist unter anderem zu prüfen, ob allfällige gesetzliche Verschwiegenheitspflichten […] einen legitimen Eingriffszweck im Sinne dieser Bestimmung verfolgen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind und schließlich im Ergebnis verhältnismäßig sind.

(29) […] Jene Bestimmungen, die dem Auskunftspflichtigen nach den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder die Verweigerung einer begehrten Auskunft ermöglichen, sind daher insbesondere dann eng auszulegen, wenn ein Auskunftsersuchen als relevanter Vorbereitungsschritt für journalistische oder andere Aktivitäten, mit denen ein Forum für eine öffentliche Debatte geschaffen werden soll, zu sehen ist, die begehrten Informationen im öffentlichen Interesse liegen und dem Auskunftswerber eine Rolle als „watchdog“ im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zukommt.

2) Pauschale Ablehnungen von Informationen sind unzulässig, auch wenn Teile der angefragten Informationen unter Verschwiegenheitspflichten fallen

Anfragen, die abgelehnt werden, weil Teile der angefragten Informationen den Datenschutz oder sonstige Verschwiegenheitspflichten berühren, zählen in Österreich zur Tagesordnung. Das Gericht stellt dazu folgendes klar:

(21) Es mag zutreffen, dass der Auskunftserteilung betreffend einzelne der erstatteten Vorschläge gesetzliche Verschwiegenheitspflichten entgegenstehen könnten […]. Da die Auskunft nach dem Gesetz jedoch nur „soweit“ nicht zu erteilen ist, als eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegensteht, kann die pauschale Verweigerung der Auskunft über eine Mehrzahl von Verwaltungsvorgängen nicht damit begründet werden, dass hinsichtlich einzelner dieser Vorgänge Verschwiegenheitspflichten bestehen.

Vielmehr wäre in einem derartigen Fall die Auskunft über jene Vorgänge, für die eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht nicht besteht, zu erteilen und – soweit die beantragte Auskunft (teilweise) auf Grund von gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten verweigert wird – bescheidmäßig darüber abzusprechen. Im Hinblick auf den durch das Wiener Auskunftspflichtgesetz eingeräumten subjektiven Anspruch auf Auskunftserteilung erfordert dies nachvollziehbare Feststellungen über jene Umstände, auf die sich die Verweigerung gründet.

3) Wenn eine vollständige Antwort die Behörde wesentlich beeinträchtigen würde, muss immer noch ein Teil beantwortet werden

Auch “ist zu viel Aufwand” kann in Zukunft nicht mehr eine pauschale Ablehnung begründen, sondern es muss ein Weg gefunden werden, zumindest Teilauskünfte zu erteilen.

(24) Auch zum Auskunftsverweigerungsgrund der wesentlichen Beeinträchtigung der übrigen Aufgaben ist darauf hinzuweisen, dass die Berufung auf diesen Grund im Regelfall eine pauschale Auskunftsverweigerung […] nicht zu rechtfertigen vermag. Auch in diesem Fall ist nämlich die begehrte Auskunft „insoweit“ zu erteilen, als dadurch die Besorgung der übrigen Aufgaben nicht wesentlich beeinträchtigt wird, was etwa zur Folge haben kann, dass Übersichtsauskünfte zu geben sind, wenn erst die Erteilung von darüber hinaus begehrten detaillierten Auskünften zur wesentlichen Beeinträchtigung der Besorgung der übrigen Aufgaben führen würde.

4) Auch eine wesentliche Beeinträchtigung der Behörde muss nachvollziehbar argumentiert werden

“Ist zu viel Aufwand” wird von Behörden oft als Grund für eine Auskunftsverweigerung genannt. In Zukunft muss die Behörde den Aufwand genau beziffern und darlegen, woraus dieser Aufwand entsteht.

(24) […] Wie bei der Verweigerung der Auskunft aufgrund von Verschwiegenheitspflichten erfordert auch eine Verweigerung der Auskunftserteilung im Hinblick auf die wesentliche Beeinträchtigung der Besorgung der übrigen Aufgaben nachvollziehbare Tatsachenfeststellungen, insbesondere betreffend die konkreten Gegebenheiten der Verwaltungsorganisation, von denen es abhängt, welcher Aufwand mit dem Auffinden der Daten, die zur richtigen und vollständigen Erteilung der begehrten Auskünfte erforderlich sind, verbunden ist

5) Zugang zu Dokumenten ist zwar nicht vorgesehen, aber möglicherweise geboten

Behörden behaupten oft, dass Auskünfte in einem gewissen Detailgrad nicht gegeben werden können, weil dies einer Akteneinsicht entsprechen würde. Das Gericht widerspricht diesem Argument: es kann oft geboten sein, Akteneinsicht zu gewähren:

(30) [Es kann] – auch wenn das Recht auf Auskunft gemäß Art. 20 Abs. 4 B-VG und den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Anspruch auf Akteneinsicht einräumt […] – zur zweckmäßigen Erteilung einer Auskunft geboten sein, dem Auskunftswerber nicht bloß mündliche oder schriftliche Auskunft über den Inhalt von Dokumenten zu erteilen, sondern den Zugang zu den relevanten Dokumenten zu gewähren […], zumal damit gegebenenfalls der Arbeitsaufwand für das auskunftspflichtige Organ – und damit eine mögliche Beeinträchtigung der Besorgung dessen übriger Aufgaben – geringer ausfallen kann.

6) Ja, auch interne Dokumente sind von der Auskunftspflicht erfasst

Das Landesverwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung die abstruse Rechtstheorie entwickelt, dass interne Dokumente nicht in den Wirkungsbereich der Behörde fallen, da dieser sowohl die Hoheitsverwaltung als auch die Privatwirtschaftsverwaltung betrifft, aber interne Dokumente weder das eine noch das andere seien.

(13) […] die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach sich die Auskunftspflicht nach § 1 Wiener Auskunftspflichtgesetz „sowohl auf Angelegenheiten der Hoheitsverwaltung als auch auf solche der Privatwirtschaftsverwaltung“ bezieht [kann] nicht dahingehend verstanden werden, dass davon ein dritter Bereich „verwaltungsinterner“ Akte zu unterscheiden wäre, der vom Anwendungsbereich desWiener Auskunftspflichtgesetzes ausgenommen wäre.

(14) […] Zu den Angelegenheiten im Wirkungsbereich einer Verwaltungsbehörde in diesem Sinne […] gehören daher auch die im vorliegenden Fall durch das Auskunftsersuchen des Revisionswerbers angesprochenen Angelegenheiten der Verwaltungsorganisation und des innerbehördlichen Vorschlagswesens.

7) Ablehnungsgründe sollten mit der ursprünglichen Anfrage zu tun haben

Die Stadt Wien hatte behauptet, zur Beantwortung der Anfrage (nach dem Wortlaut der Vorschläge und Prüfungsergebnisse) wären umfangreiche Auswertungen nötig – beispielsweise, welche der Vorschläge schon umgesetzt wurden. Allerdings: Solche Auswertungen wurden nicht angefragt.

(27) Dem ist entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber nach dem Wortlaut seines Antrags keine Ausarbeitung über den Stand der Umsetzung eines Reformprojektes, sondern Auskunft über den Wortlaut der erstatteten Vorschläge sowie über das Ergebnis der laut Medienberichten erfolgten Prüfung begehrt hat.

8) Vermutungen über Inhalte können nicht als Verweigerungsgrund herhalten

Die Stadt Wien hatte behauptet, dass einige der 1000 Einsparungsvorschläge persönliche Daten, persönliche Untergriffigkeiten oder geheimzuhaltende Daten beinhalten müssen, weswegen natürlich keine der Vorschläge beauskunftet werden können. Das Landesverwaltungsgericht hat diese Behauptung ungeprüft übernommen. Das Höchstgericht dazu:

(21) […] Im Übrigen kann die bloße Vermutung, es könnten in den Informationen, auf deren Erlangung das Auskunftsbegehren abstellt, auch Daten enthalten sein, die aus Gründen gesetzlicher Verschwiegenheitspflichten nicht herausgegeben werden dürften, zur Begründung einer Auskunftsverweigerung nicht ausreichen, da es auf das tatsächliche Vorliegen dieser Gründe ankommt, wozu die Behörde bzw. im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht entsprechende Feststellungen zu treffen hat.

9) Wenn man Eigenwerbung mit Reformprojekten macht, kann man lästige Fragen von Journalisten grundlos als »mutwillig« verleumden, das bringt aber nix

Im Gegenteil, das Gericht sieht es wie wir. Wenn eine Anfrage unseres Mitgründers das nächste Mal als mutwillig bezeichnet wird, erwartet er zumindest eine genaue Erklärung, warum sie das sein soll.

(27) […] Allein der Umstand, dass die begehrte Auskunft auf die Mitteilung einer Vielzahl von Vorschlägen […] gerichtet ist, indiziert für sich nicht die Mutwilligkeit, wurde doch – wie sich aus dem vom Revisionswerber in seiner Beschwerde ausdrücklich zitierten Medienbericht ergibt – offenbar von Mitgliedern des Stadtsenats der Stadt Wien selbst über das Reformprojekt, wenn auch in allgemeiner Form, informiert und in diesem Zusammenhang die Zahl der erstatteten Vorschläge genannt. Der Revisionswerber konnte daher davon ausgehen, dass diese Vorschläge gesammelt vorliegen und auf einfache Art zugänglich gemacht werden könnten. Vor diesem Hintergrund liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass der Revisionswerber aus Freude an der Behelligung der Behörde und damit mutwillig gehandelt hätte. Es wäre gegebenenfalls an der Behörde gelegen, den Revisionswerber über Umstände zu informieren, aus denen sich hätte ergeben können, dass die Erlangung der begehrten Auskunft aussichtslos wäre.

10) Die Erteilung von Auskünften zu internen Reformvorhaben ist explizit im öffentlichen Interesse – insbesondere, wenn schon öffentlich darüber berichtet wurde

Abschließend platziert das Gericht gefühlt ein “Seal of Approval” unter unsere ursprüngliche Anfrage:

(31) Für den vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass sich die begehrte Auskunft auf (Vorschläge für) Verwaltungsreformmaßnahmen bezieht, über die – nach dem diesbezüglich unwidersprochenen Vorbringen des Revisionswerbers – auch in Medien bereits, wenn auch in allgemeiner Form, berichtet wurde und bei denen nach einem vom Revisionswerber zitierten Medienbericht ein Einsparungspotenzial von rund 100 Millionen Euro im Jahr 2017 geortet worden sei. Die begehrte Auskunft scheint damit geeignet, zur Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften („the manner of conduct of public affairs“[…]) beizutragen, sodass nicht zu erkennen ist, dass der Zugang zu den begehrten Informationen nicht im öffentlichen Interesse gelegen wäre.

Bonus: verklausulierte Kritik an die Vorinstanzen

Wenn man schon eine ordentliche Revision ausschließt, sollte man das bitte auch halbwegs begründen können, liebes Landesverwaltungsgericht, kann man zwischen den Zeilen des VwGH-Urteils herauslesen:

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(12) Die Revision ist – entgegen der nur formelhaft und damit nicht gesetzmäßig ausgeführten Begründung im angefochtenen Erkenntnis – aus den von der Revision aufgezeigten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Der Wortlaut war klar, liebe Vorinstanzen!

(14) Die Verpflichtung der Organe des Landes und der Gemeinde Wien zur Auskunftserteilung erstreckt sich nach dem klaren Wortlaut des §1 Wiener Auskunftspflichtgesetz…

Wir könnten eigentlich nach drei Absätzen aufhören, aber wir zerreißen lieber in den 20 folgenden Absätzen eure Entscheidung:

(15) Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers alleine auf die – wie dargelegt unzutreffende – Rechtsansicht gestützt, wonach über „verwaltungsinterne“ Akte keine Auskunft zu erteilen sei und damit das angefochtene Erkenntnis schon deshalb mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Liebes Landesverwaltungsgericht, du bekommst Pluspunkte für den Versuch, aber er war schon recht … rudimentär

(16) Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht auch eine rudimentäre Abwägung im Hinblick auf die vom Revisionswerber geltend gemachten, durch Art. 10 EMRK geschützten Interessen auf Zugang zu Informationen vorgenommen.

Liebes Landesverwaltungsgericht, du verkennst das Wesen des Gesetzes:

(17) Damit verkennt das Verwaltungsgericht das Wesen der gesetzlichen Auskunftspflicht, die als Jedermannsrecht ausgestaltet ist und die insbesondere nicht voraussetzt, dass ein „schutzbedürftiges Interesse der Öffentlichkeit“ an der begehrten Auskunft besteht.

Das Landesverwaltungsgericht hätte etwas mehr prüfen können:

(20) Das Verwaltungsgericht hat – ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht – weder geprüft, ob der Erteilung der begehrten Auskunft eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegenstünde, noch ob durch die Erteilung der begehrten Auskunft die Besorgung der übrigen Aufgaben wesentlich beeinträchtigt würde, oder ob die Auskunft offenkundig mutwillig begehrt wurde.

Und die Behörde und das Landesverwaltungsgericht hätten etwas mehr ermitteln können:

(34) Wie sich aus den vorgelegten Verfahrensakten ergibt, hat die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde jedwede Ermittlungstätigkeit unterlassen. Das Verwaltungsgericht hat zwar eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der jedoch keine für die Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfragen zielführenden Ermittlungsschritte gesetzt wurden.

 

 

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