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Wirtschaft Vizekanzler Mitterlehner

Österreich fordert Neustart für TTIP

Reinhold Mitterlehner, 60, Jurist, seit 2008 ist der frühere Spitzenfunktionär der Wirtschaftskammer Wirtschaftsminister seines Landes Reinhold Mitterlehner, 60, Jurist, seit 2008 ist der frühere Spitzenfunktionär der Wirtschaftskammer Wirtschaftsminister seines Landes
Der Jurist Reinhold Mitterlehner ist seit 2008 Wirtschaftsminister Österreichs
Quelle: bmwfw
Österreichs Vizekanzler Reinhold Mitterlehner will die TTIP-Verhandlungen aussetzen. Das transatlantische Freihandelsabkommen brauche einen Neustart – und einen neuen Namen.

Mit Sorge blickt Europa derzeit auf Österreich. In keinem anderen Land ist der Widerstand gegen die von der EU geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) größer. Ob Österreich Ceta zustimmt, ist unklar, nachdem sich die sozialdemokratische SPÖ in einer Mitgliederbefragung gegen eine vorläufige Anwendung ausgesprochen hatte. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner von der bürgerlichen Volkspartei ÖVP fürchtet um die Reputation der Europäischen Union – und erklärt die deutsche SPD zum Vorbild.

Die Welt: Herr Mitterlehner, Sie haben am Mittwoch die kanadische Handelsministerin getroffen. Welche Botschaft hatten Sie?

Reinhold Mitterlehner: Ich habe ihr versichert, dass die ÖVP das Handelsabkommen mit Kanada unterstützt, genauso wie Industrie, Wirtschaft und viele andere auch. Das ist das beste Abkommen, das die Europäische Union jemals verhandelt hat.

Die Welt: Trotzdem hat sich die SPÖ von Bundeskanzler Christian Kern, ihr Koalitionspartner, in einer Befragung dagegen ausgesprochen.

Mitterlehner: Es war nicht hilfreich, eine Mitgliederbefragung mit lauter Suggestivfragen zu starten. Ich gehe aber davon aus, dass wir in den kommenden Tagen alle Vorbehalte ausräumen können. Es steht unsere handelspolitische Reputation auf dem Spiel.

Die Welt: Rufen Sie Kanzler Kern also zur Kehrtwende auf?

Demonstranten schieben ein trojanisches Pferd durch Wien, um gegen TTIP und Ceta zu protestieren
Demonstranten schieben ein trojanisches Pferd durch Wien, um gegen TTIP und Ceta zu protestieren
Quelle: AFP

Mitterlehner: Das Wort Kehrtwende ist vielleicht etwas übertrieben. Zu einer Würdigung der Argumente und zu einer Auseinandersetzung auf der Sachebene rufe ich auf. Da sehe ich uns auf einem guten Weg.

Die Welt: Wie erklären Sie es denn, dass in einer starken Handels- und Industrienation wie Österreich das Misstrauen in den Freihandel größer ist als in jedem anderen Land Europas?

Mitterlehner: Die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA haben zu Misstrauen geführt. Es herrschte der Eindruck vor, der europäische Rechtsrahmen werde ausgehöhlt und Standards untergraben. Es gibt aber auch die allgemeine Furcht vor mehr internationalem Wettbewerb.

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Die Welt: Haben wir es mit einer Vertrauenskrise in die Politik zu tun?

Mitterlehner: Weltweit ist eine Vertrauenskrise spürbar. Das hat mit Globalisierungs- und Zukunftsangst zu tun, aber auch mit Flüchtlings- und Integrationsthemen.

Die Welt: Kann es denn die richtige Antwort sein, immer wieder zurückzurudern? Ceta soll ja nun auch wieder ergänzt werden.

Mitterlehner: Wir stehen zum Freihandelsabkommen mit Kanada. Wir werden den Vertrag deswegen auch nicht nachverhandeln, sondern um rechtsverbindliche Interpretationen ergänzen.

Die Welt: Reicht das, um Konsens zu bekommen?

Gabriels Kanzlerkandidatur steht nun nichts mehr im Weg

Dem SPD-Chef blieb beim Parteikonvent in Wolfsburg ein Desaster erspart. Die Mehrheit der Delegierten folgt seinem Ceta-Kurs. Gabriel wendet damit eine heikle Debatte über seine politische Zukunft ab.

Quelle: Die Welt

Mitterlehner: Alle bemühen sich. Die Kanadier unternehmen viele Anstrengungen. Und auch mein Kollege Sigmar Gabriel setzte sich intensiv dafür ein, die Probleme im Dialog mit den SPD-Mitgliedern zu lösen.

Die Welt: Hätten Sie lieber einen Koalitionspartner, der der deutschen SPD ähnelt?

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Mitterlehner: Ich möchte das nicht bewerten. Aber ich finde, dass die Deutschen und sogar die SPD in diesem Fall ein Vorbild sein können, wie man Probleme im Dialog und sachorientiert löst. Die Entscheidung der SPD wird uns auch bei der Meinungsbildung in Österreich helfen. Wir können als handelspolitische Nation nicht die einzigen sein, die nicht verstehen, was wir auf internationaler Ebene nötig haben.

Die Welt: Sie forderten jüngst, die Verhandlungen über TTIP zu beenden und neu zu starten. Werden Sie dafür auf dem EU-Handelsministerrat in Bratislava eintreten?

Reinhold Mitterlehner und die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland
Reinhold Mitterlehner und die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland
Quelle: AFP/APA

Mitterlehner: Der französische Staatssekretär für Außenhandel, Matthias Fekl, und ich werden uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA neu aufgesetzt werden. Die Gespräche sollten nach den US-Präsidentschaftswahlen wieder aufgenommen werden.

Die Welt: Haben Sie denn Unterstützer?

Mitterlehner: Wir haben nicht die Zustimmung aller. Aber hinter vorgehaltener Hand unterstützen uns viele Kollegen. Es hilft uns auch bei der Ratifizierung von Ceta, wenn wir die Gespräche über TTIP aussetzen. Die beiden Abkommen werden in der öffentlichen Diskussion doch sehr vermischt.

Die Welt: Was sind die Elemente, die da wirklich neu und besser sein sollen?

Mitterlehner: Die EU-Kommission und auch die Regierungen haben der Frage nach Transparenz nicht von Anfang an genügend Bedeutung beigemessen. Das müssen wir besser machen. Es muss klargestellt werden, dass der Investitionsschutz an das europäische Rechtssystem anknüpft und das Abkommen eben keine negativen Auswirkungen etwa auf Standards, Altersvorsorge oder das Gesundheitssystem hat.

Die Welt: Wollen Sie auch einen neuen Titel für TTIP?

Mitterlehner: Die Freihandelsgespräche mit den USA sollten unter einem anderen Titel und mit anderen inhaltlichen Vorzeichen neu aufgenommen werden. TTIP steht mittlerweile als Metapher für das überbordende Handeln von Großkonzernen. Das ist negativ besetzt. Wir hoffen auf ein gutes Abkommen, aber dafür muss es anders aufgesetzt sein.

Die Welt: Schwebt Ihnen schon ein Name vor?

Mitterlehner: Da wird uns schon etwas einfallen (lacht).

Die Welt: Wird so ein Abkommen mit einem US-Präsidenten Donald Trump möglich sein?

Mitterlehner: Ich kann nicht beurteilen, wie die Wahlen in den USA ausgehen. Aber einfacher als derzeit wird es sicher nicht werden.

Die Welt: In Österreich gewinnt die rechtspopulistische FPÖ Zulauf. Das beunruhigt viele in Europa. Droht eines Tages das österreichische EU-Austrittsreferendum?

Mitterlehner: Nein. Einige Rechtspopulisten zogen ihre Forderungen nach einem Referendum schnell zurück, als sie bemerkten, welcher Schaden den Briten mit dem Austritt droht.

Die Welt: Gibt es aus österreichischer Sicht ein Interesse daran, an Großbritannien ein Exempel zu statuieren?

Mitterlehner: Das wäre falsch, damit schneiden wir uns in das eigene Fleisch. Aber wir müssen uns auf faire und nachvollziehbare Bedingungen für die künftige Partnerschaft verständigen. Andere Staaten dürfen nicht den Eindruck gewinnen, dass die Briten nach einem EU-Austritt bessergestellt sind als vorher.

Die Welt: Bundeskanzler Kern fordert ein Ende der Sparpolitik in Europa. Kommt diese Forderung gerade zur rechten Zeit?

Mitterlehner: Das glaube ich nicht. Wir wollen Anreize für private Investitionen setzen und nicht die Schulden erhöhen. Ein Abweichen vom Sparkurs wäre falsch.

Die Welt: Beim Sparen schließt sich Österreich den Mittelmeerstaaten an. In der Flüchtlingspolitik hingegen bilden Sie Allianzen mit osteuropäischen Staaten. Sind das die richtigen Bündnisse?

Kurz will statt Zuwanderung mehr Hilfe vor Ort

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz will den „Zustrom reduzieren“. Vor dem UN-Flüchtlingsgipfel in New York wiederholte er stattdessen seine Forderung nach mehr Hilfe vor Ort.

Quelle: Die Welt

Mitterlehner: Sie müssen immer unterscheiden zwischen der Regierungslinie und der Meinung eines einzelnen Vertreters. Die Forderung nach einem Ende der Sparpolitik ist die Privatmeinung von Bundeskanzler Kern und keine Regierungslinie. In der Migrationspolitik hingegen sehen Sie uns geschlossen.

Die Welt: Sie fordern Ungarn auf, Flüchtlinge zurückzunehmen, wenn Sie die Obergrenze eingeführt haben. Die deutsche CSU fragt, ob Österreich in der Konsequenz auch Flüchtlinge aus Deutschland zurücknimmt. Wie ist Ihre Antwort?

Mitterlehner: Derzeit sehe ich noch nicht, dass sich diese Frage stellt. Momentan haben wir die Verordnung ja noch in Begutachtung. Außerdem sind wir ja schon jetzt mit Rückweisungen an der Grenze konfrontiert.

Die Welt: Bei all dem Knatsch in der Regierungskoalition: Wann wird es denn Neuwahlen in Österreich geben?

Mitterlehner: Wenn Sie sich die letzten Monate anschauen, hätten wir laut unseren Medien schon dreimal Neuwahlen haben müssen. Wir haben aber stets inhaltlich zusammengearbeitet und Lösungen gefunden. Regulär werden wir 2018 wählen. Alles andere ist reine Spekulation.

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