Gastkommentar

Was tun mit 120.000 Langzeitarbeitlosen?

Die Pläne der Regierung, alle Menschen im unteren Einkommensdrittel schlechter zu stellen – und ihre Folgen.

Maria Mirlasits, 53 Jahre, hat 30 Jahre bei Triumph in Oberwart gearbeitet, seit deren Konkurs 2015 ist sie arbeitslos. Nach unzähligen Bewerbungen stellte ihr die Gemeinde Jennersdorf eine Stelle im Rahmen der Aktion 20.000 in Aussicht, diese gibt es nun nicht mehr.

Auch der Bauarbeiter Franz Kogler, 55 Jahre, hat 30 Arbeitsjahre „am Buckel“ und ist seit zwei Jahren arbeitslos. Er hätte bei der MA48 (Straßenreinigung) einen geförderten Job bekommen sollen, daraus wird nun nix.

Am 1. Jänner 2018 wäre die Aktion 20.000 voll angelaufen, an diesem Tag wurde sie gestoppt. Sie sei nicht „zielführend“. Doch Frau Mirlasits und Herrn Kogler hätten einen Job. Und sie hätte fast nichts gekostet: Für 20.000 Arbeitslose macht die Notstandshilfe in zwei Jahren (Projektdauer) 680 Millionen Euro aus (17.000 € pro Person und Jahr). Maximal veranschlagt waren nur um 98 Mill. mehr (778 Mill. €).

Experten wie AMS-Chef Johannes Kopf erklären uns (jetzt), dass die Aktion keine nachhaltigen Arbeitsplätze schaffe. Tatsächlich wird aus dem geförderten Job ein dauerhafter, wenn sich die Person bewährt. Und sehr viele Arbeitslose über 50 sind qualifiziert, aber zu alt. Ihnen hilft auch der Konjunkturaufschwung nicht.

Die Aktion hätte im Endausbau 20.000 Langzeitarbeitslosen statt 17.000 € Notstandhilfe, maximal 19.400 € Gehalt gebracht. Für alle öffentlichen Haushalte wären höchstens 98 Millionen Euro Zusatzkosten entstanden, für die 20.000 Menschen aber Gefühle von Hoffnung und (Selbst)Wertschätzung.

Landeplatz Notstandshilfe

Was hat nun die Regierung mit den 120.000 anderen Langzeitarbeitslosen vor? Sie werden ihre Notstandshilfe verlieren und in der Mindestsicherung landen. Denn ein Ziel des Regierungsprogramms ist die „Harmonisierung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Bedarfsorientierter Mindestsicherung.“ (S. 143). Sozialministerin Beate Hartinger-Klein möchte zwar, dass sie ihr Privatvermögen nicht verlieren, doch zwei Klassen von Sozialhilfebeziehern kann es rechtlich nicht geben.

Neue Gerechtigkeit?

Zum Überleben werden Mirlasits und Kogler daher ihren Besitz hergeben müssen (aber 4000 € bleiben ihnen). Das entspricht der „Neuen Gerechtigkeit“, da ja alle Menschen im unteren Einkommensdrittel schlechter gestellt werden sollen (die Beitrags- und Steuersenkungen berühren sie nicht, die Sozialkürzungen aber schon).

Mit 55 bzw. 57 Jahren sind Frau Mirlasits und Herr Kogler noch zu der einen oder anderen Leistung fähig. Daher sieht das Regierungsprogramm vor: „Einführung einer grundsätzlichen Arbeits- und Teilhabepflicht für Sozialhilfebezieher ab dem 15. Lebensjahr.“ Ausnahme gibt es „nur bei Behinderung, Krankheit und Sorgepflichten.“ „Bei Verletzung der Arbeits- und Teilhabepflichten Kürzung bzw. vollständige Sperre der Sozialhilfe.“

Also wird Frau Mirlasits vielleicht in Jennersdorf ohne Lohn im Kindergarten helfen oder den Park sauber halten. Und Herr Kogler wird bei der MA48 mithelfen, wo er glaubte, eine neue Chance zu bekommen. Der Staat spart die kleine Differenz zwischen Notstandshilfe und Mindestsicherung.

Noch nie hat ein Bundeskanzler mit größerem Einsatz seine Anteilnahme am Schicksal der Ärmsten bekundet, tröstet nachts Obdachlose bei der Suppenausgabe, verkündet gemeinsam mit Erzbischöfen, Caritas-Direktoren oder kleinen Drei Königen: Wir dürfen die Armen nicht vergessen, durch uns alle, mit uns allen und für uns alle. Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht – oder?

Stephan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher und Universitätslektor in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2018)

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