"Verarmungsgesetz", "almosenhaft", "nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention und auch nicht mit dem EU-Recht in Einklang" – ein Auszug aus den Bewertungen der neuen Mindestsicherung.

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Wien – Die geplanten Änderungen bei der Mindestsicherung – derzeit in parlamentarischer Begutachtung und bereits mit zahlreichen Stellungnahmen versehen – sorgen für geballte Kritik. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR warnt insbesondere vor drastischen Auswirkungen auf Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte, also Menschen, die vorübergehenden Schutz in Österreich erhalten.

Letztere müssten künftig von etwas mehr als 300 Euro im Monat leben, warnt Christoph Pinter, Chef des UNHCR Österreich, im Ö1-"Morgenjournal", und das bedeute: "Sie müssten wahrscheinlich in organisierten Quartieren leben, die für den vorübergehenden Aufenthalt während eines Asylverfahrens konzipiert sind und sicher nicht geeignet sind für einen guten Integrationsprozess."

Ungleichbehandlung von Flüchtlingen

Aber auch Menschen, die einen positiven Asylbescheid erhalten, müssten in der Lernzeit, bis sie das erforderliche Niveau an Deutschkenntnissen nachweisen können, "mit deutlich geringeren Sozialhilfesätzen auskommen", befürchtet Pinter. Das UNHCR hält fest: "Unserer Ansicht nach ist diese Ungleichbehandlung von Flüchtlingen, die sich durch die hohen Anforderungen von Deutschkenntnissen ergibt, nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention und auch nicht mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen."

Kurse gesucht

Dass gleichzeitig mit dem erforderlichen B1-Sprachniveau die Sprachkurse für Asylwerber eingeschränkt werden, könne zu langfristigen Integrationsproblemen führen, warnt auch Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien. Dass die Zahl der Asylanträge zuletzt massiv zurückgegangen ist, sei kein Argument für ein geringeres Kursangebot, argumentiert Kohlenberger. Für das AMS entscheidend seien jene, die ein Bleiberecht erhalten, und dieser Bestand sei – wegen des Rückstaus bei Asylanträgen aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 – zumindest bis zum ersten Halbjahr 2018 gestiegen. Aus wissenschaftlicher Sicht kann die Mitarbeiterin am Institut für Sozialpolitik der Koppelung von Mindestsicherung und Sprachfähigkeiten nichts abgewinnen: Man wisse aus der Bildungswissenschaft, dass Angst – in diesem Fall vor dem Verlust der Existenzsicherung – "ein schlechter Motivator fürs Lernen ist".

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser bewertet das neue Mindestsicherungskonzept als "almosenhaft und bevormundend". Vor allem die Deckelung nach oben, sowie die fehlende Deckelung nah unten – spricht: fehlende Minimalbeträge – stoßen auf Kritik der Diakonie. Die Grundhaltung des Vorhabens der türkis-blauen Regierung interpretiert Moser so: "Erweise dich als würdig und du bekommst etwas." Auch bei der Diakonie ist man davon überzeugt, dass das vorliegende Konzept "weniger zur Armutsbekämpfung", aber umso mehr "zur Manifestierung von Armut" beiträgt.

Sie leiden schon jetzt unter schlechten Lebensbedingungen, dies werde mit der neuen Regelung massiv verstärkt.

"Erhebliche Bedenken"

In der Begutachtungsstellungnahme des Oberlandesgerichts Wien wird vor einem weiteren Aspekt der neuen Mindestsicherung gewarnt. Vorgesehen sei nämlich, Straftätern, die zu mehr als sechs Monaten bedingter oder unbedingter Haft verurteilt werden, nach Verbüßen der Haftstrafe für den Zeitraum, der der Dauer der Freiheitsstrafe entspricht, die Mindestsicherung zu streichen. OLG-Präsident Gerhard Jelinek schreibt an die Sozialministerin: "Gegen eine derartige Regelung bestehen erhebliche Bedenken."

Ähnlich wie die Richtervereinigung ("Das Vorhaben wird entschieden abgelehnt") und der Bewährungshilfeverein Neustart warnt auch das Oberlandesgericht, dass verurteilte Straftäter damit "in eine finanziell noch aussichtslosere Situation (Obdachlosigkeit, Gefährdung elementarer Lebensbedürfnisse) gedrängt werden", würden doch die Leistungen der Grundversorgung "für die Bestreitung einer auch nur notdürftigen Lebenshaltung kaum beziehungsweise nicht" ausreichen. Man prophezeit "eine Lage der Perspektivlosigkeit, womit sich das Gefährdungspotenzial, neuerlich in die Kriminalität abzugleiten, signifikant" erhöhe.

"Verarmungsgesetz"

Auch Amnesty International findet wenig Gutes am vorliegenden "Verarmungsgesetz", neben inhaltlichen will man auch grundlegende verfassungsrechtliche Mängel darin erkennen: Demnach ist laut der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs ein Gesetz, das der Sicherung des Existenzminimums und der Gewährung eines menschenwürdigen Lebens dienen soll, unsachlich, wenn dieses Ziel durch die Regelungen in dem Gesetz faktisch nicht erreicht werden kann. Genau das sei bei der vorliegenden Neuregelung aber der Fall, findet Amnesty.

"Massive Schlechterstellung"

Die Arbeiterkammer begrüßt zwar grundsätzlich eine bundeseinheitliche Neuregelung der Mindestsicherung, "äußerst kritisch" sieht man aber die "massive Schlechterstellung von Familien mit mehreren Kindern" – diese liefen damit Gefahr, "die armen Erwachsenen von morgen zu sein". Auch dass die Zusatzzahlungen für Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung als "Kann-Bestimmung" formuliert sind, missfällt der Arbeitnehmervertretung. Außerdem stößt man sich daran, dass künftig der Migrationshintergrund der Bezieherinnen und Bezieher erfasst werden soll: Die "Leistung zur Unterstützung der Schwächsten" solle "kein Werkzeug der Entsolidarisierung der Gesellschaft" werden. (APA, red, 8.1.2019)

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