Europäische Wasserversorgungssysteme auf dem Prüfstand

09. Januar 2019

Öffentliche Dienstleistungen und hier insbesondere die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind unverzichtbar für die Menschen. Österreichs Wasserversorgung punktet mit sehr guter Qualität, Leistbarkeit und umfassender Verfügbarkeit. Sie steht auch im europäischen Vergleich sehr gut da, wie aktuell vorliegende Studienergebnisse zeigen. Steht mit der bevorstehenden Revision der Konzessionsrichtlinie eine Liberalisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung wieder zur Diskussion?

Mit dem Erfolg der ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Right2Water – Wasser ist ein Menschenrecht“ konnte die Ausnahme vom Ausschreibungs- und Liberalisierungszwang für Wasser und Abwasser auf europäischer Ebene erkämpft werden. Mit der bevorstehenden Revision der Konzessionsrichtlinie steht diese Ausnahme wieder zur Diskussion. Laut Artikel 53 der Konzessionsrichtlinie hat die Europäische Kommission (EK) die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ausnahme auf den Binnenmarkt zu überprüfen und dem Europäischen Parlament bis zum 12. April 2019 über ihre Einschätzung einen Bericht zu erstatten. Von diesem Bericht wird abhängen, ob die Ausnahme vom Ausschreibungszwang für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung auch weiterhin bestehen bleibt.

Eine aktuelle Studie betrachtet die europäische Siedlungswasserwirtschaft in sechs ausgewählten Ländern (AT, DE, HU, FR, PT, UK) sowie aktuelle Entwicklungen im Wasserbereich.

Ergebnisse des Studienvergleichs

Die Branchenstruktur der Siedlungswasserwirtschaft ist in den ausgewählten Ländern sehr heterogen und zeichnet sich in Österreich insbesondere durch eine kleinteilige Versorgungsstruktur auf kommunaler Ebene aus. Die EigentümerInnenstruktur reicht von einer fast ausschließlich in öffentlicher Hand befindlichen Wasserversorgung in Österreich und Ungarn bis hin zur Versorgung in privater Hand in England und Wales.

Die österreichische Wasserwirtschaft liefert im europäischen Vergleich bei den Wasserleitungsverlusten bei der Abwasserentsorgung sowie der operativen Effizienz hervorragende Ergebnisse. So liegt der Wasserleitungsverlust in Österreich bei 11 Prozent und liegt damit an zweiter Stelle nach Deutschland mit 7 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der Wasserleitungsverlust in Frankreich bei 21,9 Prozent, in England bei 23,4 Prozent, in Ungarn bei 24 Prozent und in Portugal sogar bei 35 Prozent. Der Anteil des Abwassers sowie der Ausbau der Reinigungsstufen ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, und hier liefern insbesondere Österreich und Deutschland ausgezeichnete Ergebnisse. In beiden Ländern liegt der Ausbau der dritten Reinigungsstufe (= chemische Reinigung) mit 93 Prozent (Deutschland) und 97 Prozent (Österreich) sehr hoch. Im Vergleich dazu hinken die anderen Länder erheblich hinterher: England/Wales und Ungarn liegen bei 57 Prozent, Frankreich bei 22 Prozent und Ungarn bei 16 Prozent.

Hinsichtlich der Leistbarkeit sind für die Haushalte Preise und Gebühren für die Wasserversorgung ausschlaggebend. Die kommunale Bereitstellung in Österreich ist jedenfalls nicht teurer, sondern eher günstiger als die gemischte oder private Bereitstellung in den anderen Ländern. Auch England und Wales sind durchaus günstige Bereitsteller, allerdings bei einer insgesamt geringeren Versorgungsqualität. Vor allem der Eingriff des staatlichen Regulators Ofwat hat zu Verbesserungen in der Preisstruktur geführt. Insgesamt stellen die traditionellen öffentlichen Systeme der Wasserver- und Abwasserentsorgung eine stabile, für die privaten Haushalte günstige Möglichkeit der Wasserversorgung dar.

Preisentwicklung der Wasserversorgung © A&W Blog
© A&W Blog

Neue Entwicklungen in der Wasserwirtschaft

Als wenig erfolgreich erwies sich die Privatisierung und Liberalisierung der Wasserversorgung. Wo privatisiert wurde, waren entweder strenge Regulierungen (z. B. Regulierung von Preisen, Sicherstellung der Leistung) nötig, wie zum Beispiel in England, oder der Staat musste im Zuge der Finanzkrise mit Subventionen eingreifen, um wirtschaftliche Verluste niedrig zu halten, wie zum Beispiel in Frankreich. In Frankreich und Deutschland lässt sich zudem ein seit Jahren anhaltender Gegentrend zur Liberalisierung nachzeichnen: die Rekommunalisierung der Wasserversorgung. Immer mehr Kommunen nehmen aufgrund enttäuschter Erwartungen ihre Wasserversorgung wieder selbst in die Hand. So haben in Frankreich und Deutschland in den letzten 15 Jahren mehr als 120 Städte und Gemeinden ihre Wasserversorgung in die öffentliche Hand zurückgeholt. Parallel zur Rückkehr der öffentlichen Hand finden aber weiterhin Restrukturierungen in diesem Sektor statt, die in die entgegengesetzte Richtung weisen. Diese sind nicht zuletzt im Lichte knapper öffentlicher Budgets bzw. nationaler und europäischer Fiskalregeln zu betrachten, die den Handlungsspielraum für die traditionelle öffentliche Finanzierung und Bereitstellung einschränken.

Wohin führt die Finanzialisierung?

Ein spezieller Aspekt der Studie betrifft das zunehmende Eindringen von Finanzmarktakteuren in das „Wassergeschäft“ und die Übernahme ihrer Steuerungslogik und Organisationspraktiken in wichtige Infrastruktursektoren. Finanzinvestoren beteiligen sich zunehmend an privaten Wasserkonzernen und bewirken eine Veränderung der Geschäftsmodelle, was sich am deutlichsten am Beispiel England ablesen lässt. Die Analyse der Jahresbilanzen der privaten Wasserversorgungsunternehmen zeigt, dass die Gewinne der Unternehmen kaum reinvestiert werden, sondern vor allem den AktionärInnen zugutekommen. So wurden im Zeitraum 2007–2016 von den 18,9 Mrd. Pfund an Gewinnen (nach Steuern) mehr als 96 Prozent (18,1 Mrd. Pfund) an Dividenden ausgeschüttet. Diese Gelder hätten stattdessen für Investitionen in die Infrastruktur, Reduzierung der Verschuldung oder geringere Preise für die KonsumentInnen verwendet werden können, wie die StudienautorInnen ausführen. Gleichzeitig waren in diesem Zeitraum (2007–2016) rund 14,6 Mrd. Pfund an privaten Fremdfinanzierungen erforderlich, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren, womit die Fremdverschuldung innerhalb dieses Zeitraums gestiegen ist. Einzig beim walisischen Wasserversorger Dwr Cymru (Welsh Water), der in dieser Zeit von einem rein privaten Wasserversorger in einen genossenschaftlichen Versorger umgewandelt wurde, ist der Schuldenanteil gesunken.

Verschuldungsgrad der englischen und walisischen Wasserversorger © A&W Blog
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Fazit

Liberalisierung und Privatisierung im Wassersektor führen durch die Finanzierung von Regulierungsbehörden und öffentliche Ausschreibungen unbestreitbar zu hohen Transaktionskosten. Erwirtschaftete Gewinne werden ausgeschüttet und Kosten für Reinvestitionen durch Fremdkapital finanziert. Der Mythos vom freien Markt in der Wasserwirtschaft und einer damit einhergehenden billigeren und besseren Versorgung der Menschen wird damit zum wiederholten Male widerlegt. Die öffentliche Wasserversorgung in Österreich punktet im europäischen Vergleich mit sehr guter Effizienz, Qualität und Leistbarkeit für die versorgte Bevölkerung. Die StudienautorInnen sehen keinerlei dringenden Handlungsbedarf in Hinblick auf eine Liberalisierung oder gar Privatisierung öffentlicher Systeme. Daher ist es dringend notwendig, die Ausnahme der Wasserver- und Abwasserentsorgung in der Konzessionsrichtlinie beizubehalten. Langjährig bestehende Systeme einer gut funktionierenden öffentlichen Daseinsvorsorge wie in Österreich oder Deutschland dürfen auch zukünftig nicht gefährdet werden. Dringend zu empfehlen ist hingegen die Umsetzung von Ausnahmen öffentlicher Investitionen in Bezug auf die Verschuldungsgrenzen der öffentlichen Haushalte („goldene Investitionsregel“) zur Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.