1. tz
  2. München
  3. Stadt

Münchner Witwe verliert ihr Erbe an den Iran

KommentareDrucken

Rosemarie N. hat nicht nur ihren Mann Nouredin verloren – jetzt soll ihr auch noch das Erbe genommen werden, weil in ihrem Fall iranisch-islamisches Erbrecht gilt.
Rosemarie N. hat nicht nur ihren Mann Nouredin verloren – jetzt soll ihr auch noch das Erbe genommen werden, weil in ihrem Fall iranisch-islamisches Erbrecht gilt. © Westermann

München - Rosemarie N. (67) hat nicht nur ihren Mann Nouredin verloren – jetzt soll ihr auch noch das Erbe genommen werden, weil in ihrem Fall iranisch-islamisches Erbrecht gilt!

Genau 40 Jahre teilt die Münchnerin Rosemarie N. (67), geborene Müller, das Leben mit ihrem Mann Nouredin. Sie heiraten und wohnen glücklich in Giesing, bauen zusammen eine Firma aus dem Nichts auf. Der gebürtige Iraner erweist sich als mustergültiger Gatte und Vorbild an Integration. Am 5. März stirbt er plötzlich an Krebs – im Alter von nur 66 Jahren.

Der Tod raubt der Münchnerin die Liebe ihres Lebens. Und jetzt soll ihr auch noch Hab und Gut genommen werden. Rosemarie N. soll nur einen Bruchteil erben – das meiste könnte an die Familie ihres Mannes im Iran gehen, weil mitten in München für sie islamisches Recht gilt!

Was die Witwe nicht ahnte: Stirbt ein Gatte, der keinen deutschen Pass hat, gilt auch in Deutschland grundsätzlich das Erbrecht seines Heimatlandes. Von diesen binationalen Ehen gab es 2008 laut Statistischem Bundesamt rund 1,4 Millionen – 50 Jahre nach Ankunft der ersten Gastarbeiter reißt der Tod immer mehr dieser Lieben auseinander. „Das Thema wird vermehrt auf uns zukommen“, sagt Isabell Riedling, Sozialpädagogin beim Verband binationaler Familien in München.

Sechs Wochen nach der Beerdigung ihres Mannes schrieb das Münchner Amtsgericht Rosemarie N.: In ihrem Fall gelte das iranisch-islamische Recht. Danach stünde der Münchnerin nur ein Viertel ihres Hab und Guts zu, drei Viertel gingen an die sieben Schwager und Schwägerinnen in Teheran – drei Viertel der gemeinsamen Firma, drei Viertel des Geldes. Zum Glück lebt die Witwe zur Miete …

Dabei hatte das Paar vorbildlich vorgesorgt, als sie 1996 beim Nachlassgericht ein Testament hinterlegten, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Ihr Mann habe seinen persischen Pass vorzeigen müssen, erzählt Rosemarie N. Die Bedienstete habe sie nicht gewarnt. Das Paar glaubte sich im Recht, es lebte ja in Deutschland – Nouredins Traumland. Noch immer schwärmt Rosemarie N. über ihren Mann. Eine „Rarität“ sei er gewesen. „So einen gibt’s selten.“ 1966 kam Nouredin über ein Schweizer Unternehmen an die Isar, arbeitete in einer Fleischfirma in Giesing und wollte nie wieder weg. In vier Jahrzehnten wurde der Iraner bayerischer als viele Bayern, war Mitglied im Giesinger Maibaumverein, besuchte dienstags und freitags die Spezln am Stammtisch etwa im Maibaumstüberl, schlenderte jeden Samstag über den Viktualienmarkt, ging in die Berge. „Des war a Giasinga“, sagt seine Witwe in gepflegtem Münchnerisch.

Bei der Familie im Iran habe sie es immer länger ausgehalten als ihr Mann, der wollte spätestens nach zehn Tagen den Flug an die Isar umbuchen – „I muss hoam“, habe er gesagt. Einmal zog das Paar aus Giesing nach Ismaning. „Doch mein Mann bekam Heimweh“, erzählt die Gattin. Bald kehrten die beiden wieder in den Schatten des Grünwalder Stadions zurück.

Der Moslem war auch dem Bier nicht abgeneigt und erst recht nicht den Schweinswürschteln. Wie auch: Der gelernte Sortierer importierte und produzierte Naturdärme – er schuftete tüchtig für die hiesigen Wiener. Die Religion war ihm nur aus Verbundenheit zu seiner Familie wichtig. Schon in den 70er Jahren wollte er Deutscher werden, den Antrag hatte er schon ausgefüllt, reichte ihn aber nicht ein – Nouredin hätte sonst nicht mehr aus dem Iran nach der fundamentalistischen Revolution Ajatollah Khomeinis importieren können.

Das ist das Problem: „In Deutschland kommt es beim Erben auf die Staatsangehörigkeit an. Das weiß aber kaum jemand“, sagt Rosemarie N.s Anwältin Nicola Mayerl, Expertin für Internationales Privatrecht. So wollen es das Gesetz und ein deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929. Die Regelung gibt es auch in anderen Staaten, manche Länder wie etwa England richten sich aber nach dem Wohnort.

Im Fall N. gelte auf deutschem Boden iranisches Recht, das wiederum nach den Religionen unterscheidet, weshalb konkret islamisch-schiitisches Recht gelte. Nutznießer wären die drei Brüder und vier Schwestern ihres Mannes. Nach hiesigem Recht stünde der Münchnerin alles zu. Mit einem Argument will die Anwältin den Erbteil von nur einem Viertel für Rosemarie N. zumindest verdoppeln. Ausländisches Recht müsse nämlich in Deutschland nicht angewandt werden, wenn es gegen hiesige Grundsätze verstößt. Im iranischen Recht werde die Frau benachteiligt, weil sie nur die Hälfte des Mannes erbe. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz im deutschen Recht, sagt Anwältin Mayerl. In einem vergleichbaren Fall hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf 2008 der Frau den doppelten Erbteil zugesprochen. Durch einen Zugewinnausgleich nach dem deutschen Güterrecht will die Anwältin ihrer Mandantin sogar drei Viertel des Erbes sichern. Das Amtsgericht werde der iranischen Familie aber in jedem Fall einen Anteil zusprechen.

Rosemarie N. geht es nicht ums Geld, davon sei ohnehin nicht viel da, sondern um das Prinzip. Sie hat für die gemeinsame Firma ihren Beruf bei der Bahn aufgegeben. Sie hat die Sprache ihres Mannes gelernt und dessen Religion angenommen. Sie kennt sich gut in dessen früherer Heimat aus – so wie die meisten deutschen Frauen und Männer, die einen ausländischen Partner lieben. „Diese Menschen möchte ich aufmerksam machen.“

David Costanzo

Die Scharia in Deutschland

„Es gilt bei uns das Grundgesetz und nicht die Scharia“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch im Oktober in der Integrationsdebatte. So ganz stimmt das nicht: „Wir praktizieren islamisches Recht seit Jahren“, sagte der Professor für ausländisches Privatrecht an der Uni Köln, Hilmar Krüger, dem Spiegel. Vor allem im Familien- und Erbrecht fänden Normen der Scharia Anwendung. So würden Jordanier in Deutschland nach jordanischem Recht verheiratet und geschieden. Selbst Frauen, die in ihrem Herkunftsland rechtmäßig eine Viel-Ehe eingegangen seien, könnten in Deutschland Ansprüche geltend machen wie Unterhaltszahlungen, Sozialleistungen des Ehemanns und einen Teil des Erbes. Das Nebeneinander sei „Ausdruck der Globalisierung“, sagte der Erlanger Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Das deutsche Recht lasse anders als etwa das kanadische auch ausländische Rechtsnormen gelten, solange sie nicht der öffentlichen Ordnung und den Grundrechten zuwiderlaufen. Zwangsehen oder Steinigungen seien daher in Deutschland verboten.

Auch interessant

Kommentare