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Drakonisches Abtreibungsverbot Alabama soll erst der Anfang sein

Alabamas Gouverneurin hat ein Gesetz unterzeichnet, das Abtreibungen - auch in Fällen von Vergewaltigung und Inzest - verbietet. Angestachelt von Donald Trump hoffen die Republikaner auf einen landesweiten Effekt.
"Mein Körper, meine Entscheidung": Demonstranten vor dem Senat in Alabama

"Mein Körper, meine Entscheidung": Demonstranten vor dem Senat in Alabama

Foto: Mickey Welsh/The Montgomery Advertiser/ AP

In ihrem Roman "The Handmaid's Tale" beschreibt die Autorin Margaret Atwood ein totalitäres Amerika, das Frauen als willenlose Gebärmaschinen unterjocht. Die Horrorvision wurde 2017 zur preisgekrönten TV-Serie, die dritte Staffel läuft in den USA im Juni an.

Inzwischen nähert sich die Realität der Fiktion an.

Der Bundesstaat Alabama im Süden der USA erließ diese Woche das drakonischste Abtreibungsverbot Amerikas. Das Gesetz, das die republikanische Gouverneurin Kay Ivey am Mittwochabend unterzeichnete, stellt Abtreibungen in nahezu allen Fällen unter Strafe, selbst bei Vergewaltigung oder Inzest. Die Frauen selbst bleiben straffrei, doch die Ärzte riskieren bis zu 99 Jahre Haft. Allein für den Versuch einer Abtreibung sind zehn Jahre Haft vorgesehen.

Gouverneurin Kay Ivey beim Unterzeichnen des Gesetzes

Gouverneurin Kay Ivey beim Unterzeichnen des Gesetzes

Foto: ALABAMA GOVERNOR OFFICE HANDOUT/EPA-EFE/REX

Tausende Menschen protestierten in den vergangenen Tagen vor dem Parlament in Alabamas Hauptstadt Montgomery, in der einst die US-Bürgerrechtsbewegung begann. "Hände weg von meinem Uterus", stand auf einigen Plakaten. Viele Demonstranten waren als "Handmaids" aus der Serie gekleidet, in rote Kutten, mit weißen steifen Hauben.

Der Landessenat winkte die kontroverse Vorlage, die meist arme und schwarze Frauen trifft, trotzdem durch - dank einer Republikaner-Mehrheit aus 25 weißen Männern. Es ist der dramatischste Rückschritt in einem eskalierenden Kulturkrieg unter US-Präsident Donald Trump.

Hoffen auf den Supreme Court

Zwar dürfte das neue Gesetz sofort von Klagen blockiert werden. Doch genau darauf zielen die Abtreibungsgegner ab, nicht nur in Alabama: Sie wollen das Reizthema durch die Instanzen treiben, bis hinauf zum Supreme Court - in der Hoffnung, dass dessen neue konservative Mehrheit das landesweite Verfassungsrecht auf Abtreibung, das in den USA seit 1973 verankert ist, ganz kippt.

Die parlamentarische Debatte in Alabama war brutal und streckenweise lautstark, das Ergebnis absehbar. Von den 35 Senatssitzen entfallen 27 (77 Prozent) auf die Republikaner, alle sind Männer. Die Demokraten stellen nur acht Senatoren, vier Frauen und vier Männer.

Bis zuletzt versuchten diese, wenigstens Opfer von Gewalttaten zu schützen. Frauen etwa, die bei einer Vergewaltigung schwanger werden. Sie wollten auch Alabamas dürftige Gesundheitsversorgung verbessern, um die Folgen des Gesetzes abzufedern. Nicht ohne Grund befürchten sie, dass es Frauen, die abtreiben wollen, in die Illegalität treibt, wo solche Prozeduren höhere Risiken haben - oder sie zwingt, in andere Staaten zu flüchten, was sich viele nicht leisten können.

"Abtreibung ist ein Menschenrecht": Demonstrantinnen samt "Handmaid's"-Verkleidung in Alabama

"Abtreibung ist ein Menschenrecht": Demonstrantinnen samt "Handmaid's"-Verkleidung in Alabama

Foto: Mickey Welsh/The Montgomery Advertiser/ AP

Schon jetzt leidet Alabama, einer der ärmsten US-Staaten, unter hohen Raten an Kindersterblichkeit und Gebärmutterhalskrebs. Am meisten gefährdet sind einer Studie von Human Rights Watch zufolge afroamerikanische Frauen. Die Gründe: Ärztemangel, unzureichende Krankenversicherung, Armut und "struktureller Rassismus", der sie von Hilfe abschneide. Dies könnte nun noch schlimmer werden.

Nicht nur in Alabama. "Dies ist ein Angriff auf die Rechte der Frauen", twitterte Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Die Präsidentschaftsbewerber der Demokraten kündigten an, das Recht auf Abtreibung zum zentralen Wahlkampfthema in 2020 zu machen.

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US-Präsidentschaftswahl: Diese Demokraten wollen es wissen

Foto: Zach Gibson / GETTY IMAGES NORTH AMERICA/ AFP

Was Trump und den Republikanern aber nur lieb ist. Sie setzen auf einen Rechtsstreit, um ihre konservative Basis zu mobilisieren. Das Gesetz in Alabama dient auch diesem Zweck: Die unteren Instanzen sind nun gezwungen, das Gesetz zu blockieren, da es so breit gefächert ist, dass es gegen das geltende Verfassungsrecht verstößt.

Schon haben die Bürgerrechtsorganisation ACLU, die Klinikvereinigung Planned Parenthood und andere Gruppen Klagen angekündigt. "Dieses Gesetz wird in absehbarer Zukunft nicht in Kraft treten", beruhigte die ACLU ihre Klienten: "Die Abtreibung wird in Alabama eine sichere und legale Prozedur bleiben."

Nicht nur Alabama stellt sich gegen Abtreibungen

Wie lange jedoch, das steht plötzlich infrage, seit Trump die Balance des höchsten US-Gerichts mit der Benennung zweier neuer Richter - Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh - nach rechts verschoben hat. Zumal es auch in anderen konservativen US-Regionen brodelt. In insgesamt 41 Staaten haben die Republikaner allein dieses Jahr das Abtreibungsrecht weiter eingeschränkt, am liebsten durch Gesetze, die die Finanzierung streichen. Was zur Folge hat, dass inzwischen jede dritte Amerikanerin in einem Bezirk lebt, in dem es keinen Mediziner mehr gibt, der Abtreibungen vornimmt.

Georgia, Kentucky, Mississippi und Ohio haben Abtreibungsverbote erlassen, die gelten, sobald der Fötus einen spürbaren Herzschlag hat ("heartbeat bills") - oft bevor eine Frau überhaupt weiß, dass sie schwanger ist. Ein gutes halbes Dutzend andere Staaten erwägen ähnliche Maßnahmen. Texas will ein komplettes Verbot wie Alabama.

Trump stachelt all das genüsslich an. Er lügt und behauptet, dass die Demokraten für Abtreibungen im letzten Trimester und legalisierten "Kindsmord" seien. Bei seinen Wahlauftritten schildert er gerne gruselige - und erfundene - Szenen, bei denen Babys mit dem Segen demokratischer Politiker sogar noch nach der Geburt "exekutiert" worden seien.

In der Serie "The Handmaid's Tale" revoltieren die Frauen. Wie der Konflikt im wirklichen Leben ausgeht, ist noch offen.

Im Video: Nahkampf vor der Abtreibungsklinik in Louisville Kentucky

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