Brasilianischer Regenwald
APA/AFP/Mauro Pimentel
Rindfleisch als Risiko

Warnungen vor EU-Megadeal mit Mercosur

Die EU könnte in Kürze einen der größten Freihandelsdeals ihrer Geschichte abschließen. Es geht um einen seit Langem geplanten Pakt mit dem Mercosur-Wirtschaftsraum, also Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Der soll die Wirtschaft ankurbeln – doch Kritiker warnen vor verheerenden Folgen für Umwelt, Klima und Europas Landwirtschaft. Einer der größten Risikofaktoren ist dabei das Rindfleisch.

Seit 20 Jahren versuchen die EU und Mercosur den Deal unter Dach und Fach zu bringen. Nun zeichnet sich Bewegung ab: In Brüssel soll es aktuell intensive Verhandlungen geben. Der Abschluss wäre ein riesiger Deal. Mit einer Bevölkerung von mehr als 260 Millionen Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt von zuletzt rund 2,5 Billionen Euro ist Mercosur einer der großen Wirtschaftsräume.

Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen – die südamerikanischen Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern. Agrar- und Automobilindustrie sind auch die beiden besonders heiklen Bereiche des Deals, welche die Verhandlungen in den vergangenen Jahren immer wieder ausgebremst haben.

Grafik zu Mercosur-Staaten
Grafik: Map Resources/ORF.at

Fleisch, Soja und der Regenwald

Die Agrarindustrie ist ein zentrales Standbein der südamerikanischen Wirtschaft, so ist etwa der weltgrößte Fleischproduzent JBS ein brasilianisches Unternehmen. Mercosur gehört zu den größten Produzenten von Rindfleisch und Sojabohnen, beide Güter machen schon jetzt einen Löwenanteil der Exporte in die EU aus. Das Soja dient als wichtige Futterquelle in der EU-Landwirtschaft. Gleichzeitig sind beide Bereiche große Klimakiller, die vor allem aus Monokulturen und industriellem Anbau kommen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden riesige Flächen Regenwald für den Anbau abgeholzt.

Rohe argentinische Steaks
Reuters/Juan Medina
Rindfleisch gilt den südamerikanischen Staaten traditionell als wichtiges Handelsgut

Die Befürchtung von Kritikerinnen und Kritikern ist nun, dass mit dem Mercosur-Deal nicht nur der Handel, sondern auch die Umweltzerstörung angekurbelt wird. Denn: Mehr Export von Agrargütern bedeute mehr Anbau, mehr Anbau einen größeren Flächenbedarf. Die Folgen seien eben Entforstung, Artensterben, ein erhöhter Pestizid- und Antibiotikaeinsatz und Wasserverschmutzung.

Dabei geht es vor allem, aber nicht nur um Rind und Soja. Große Posten sind auch Geflügel, Zucker, Schweinefleisch und Bioethanol aus Zuckerrohr. Abgesehen davon setze das Abkommen die indigene Bevölkerung weiter unter Druck. Der rechtspopulistische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat seit seiner Wahl mehrfach Einschnitte beim Schutz von Regenwald und indigenen Einwohnern angekündigt. Auch das EU-Parlament warnte vor „signifikanten Folgen“ für die Umwelt.

Vier EU-Premiers warnen vor Preisdruck

Große Teile der europäischen Agrarwirtschaft zeigen sich angesichts der möglichen Konkurrenz ebenfalls längst alarmiert. Befürchtet wird, dass das Fleisch aus Südamerika die Preise in der EU drücken könnte. Aus diesem Grund haben die Staatschefs von Frankreich, Irland, Polen und Belgien in einem gemeinsamen Brief an die EU-Kommission vor den negativen Auswirkungen des Deals gewarnt. Eine kolportierte zollfreie Importquote von 99.000 Tonnen für Rindfleisch könnte den „fragilen Sektor in unseren Ländern bedrohen“, warnen die Premiers.

Französische Traktoren blockieren eine Straße
Reuters/Emmanuel Foudrot
Protest nahe Lyon in Frankreich: „Mercosur zerstört die französische Landwirtschaft“

Sie fordern, dass die Quoten für Rindfleisch, Geflügel, Schwein, Zucker und Ethanol nicht erhöht werden – doch das ist unwahrscheinlich. Immerhin peilt die EU einen besseren Marktzugang für mehrere Wirtschaftszweige an. Laut der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehe es um „strategisch wichtige Sektoren“ – etwa Autos, Autoteile, Maschinen, Chemikalien sowie Pharmazeutika. Sie fordert einen möglichst schnellen Abschluss der Verhandlungen.

„Geht gegen Prinzipien der EU“

Zivile Verbände stehen dem Abkommen hingegen kritisch gegenüber. Zuletzt forderte ein Zusammenschluss aus 340 NGOs, dass die Gespräche auf Eis gelegt werden. Als besonders problematisch sehen sie eine Beteiligung von Bolsonaro an. „Ein Handelsabkommen mit Brasiliens aktueller Regierung geht gegen alle EU-Prinzipien zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten“, hieß es in einem Brief an die EU-Spitzen.

Die EU müsse ihre Wirtschaftsmacht als Hebel für eine faire und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung nutzen. Dass das Abkommen „bestehende Probleme massiv verschärfen“ würde, kritisierte etwa die globalisierungskritische Organisation ATTAC. Sie warnte auch davor, dass das Abkommen ohne Zustimmung der nationalen Parlamente in Kraft treten könnte, da keine Sonderklagerechte für Unternehmen vorgesehen seien.

Forschung: Regenwald entscheidend für Klima

Bereits im April hatten zudem mehr als 600 Forscherinnen und Forscher gemahnt, dass das Handelsabkommen ein großes Risiko für den Kampf gegen den Klimawandel darstelle. „Brasiliens Wälder, Feuchtgebiete und Savannen sind entscheidend für die große Vielfalt der indigenen Völker, die Stabilität des globalen Klimas und die Erhaltung der Biodiversität“, heißt es in einem im Fachjournal „Science“ veröffentlichten Brief.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro
Reuters/Adriano Machado
Der umstrittene Präsident Jair Bolsonaro treibt die Verhandlungen offenbar voran

Durch den Import landwirtschaftlicher Produkte sei die EU mitverantwortlich für die großflächige Abholzung des Regenwaldes, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Allein im vergangenen Jahr wurde weltweit Regenwald in der Größe von Großbritannien vernichtet – der größte Anteil davon in Brasilien. Dabei betonten die Verfasser, dass der Regenwald entscheidend für die globale Klimastabiliät ist.

Einigung noch diese Woche?

Die EU-Kommission hatte angekündigt, die Gespräche noch 2019 abschließen zu wollen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sagte, man wolle einen Deal, „aber nicht um jeden Preis“. Laut Malmström habe es sich zuletzt noch am heiklen Punkt Landwirtschaft gespießt. Die schwierigste Verhandlungsmasse werde bis zum Schluss aufgespart. Angesichts der Kritik zum Umweltschutz hatte Malmström betont, man werde ein „ehrgeiziges“ Kapitel inkludieren. Zudem wolle man Arbeitnehmerrechte stärken, die Lebensmittelstandards sichern und strenge Regeln zur Herkunftsbezeichnung durchsetzen.

Wohl vor allem wegen der Handelspolitik der USA will die EU mit dem Abschluss „ein starkes Signal“ senden. Aber eine andere Richtung setzt die EU laut Beamten zunehmend unter Zugzwang: Auch China hat in Brasilien schon einen Fuß in der Tür. Die EU müsse handeln, bevor Peking die Regeln bestimme und die Standards festsetze, hieß es.

Seit Freitag befinden sich nun Verhandlungsteams beider Seiten in Brüssel und feilen an technischen Details. Am Mittwoch wollen die zuständigen EU-Kommissare und die Mercosur-Minister zu einem Arbeitsessen zusammentreffen. Eine Einigung könnte schon beim G-20-Gipfel in Japan verkündet werden.