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PRESSEMATERIAL                                                 Berlin, 04.02.2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Klimawandel und die Dringlichkeit eines stärkeren Umweltschutzes sind weit oben auf der gesellschaftlichen Agenda angekommen. Es wird weltweit darüber diskutiert, wie wir unsere Umwelt erhalten und schützenkönnen. Dabei denkt Cradle to Cradle Umwelt und Wirtschaft zusammen:  Beim 6. Internationalen Cradle to Cradle Congress, der am 31. Januar und 1. Februar 2020 erstmalig in der Urania in Berlin stattfand, diskutierten hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft darüber, mehr als nur klimapositiv zu wirtschaften. In 30 Veranstaltungen diskutierten 70 Speaker über die erforderlichen politischen Rahmenbedingungen sowie Ansätze für eine echte Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle. Sie erreichten damit rund 1.000 Besucher*innen. Anbei eine Auswahl von Zusammenfassungen der einzelnen Gespräche und Vorträge, nach Themen sortiert.


„Für uns war der 6. Internationale Cradle to Cradle Congress ein voller Erfolg! Wir haben einen Rekord bei den Teilnehmerzahlen verzeichnet und damit mit so vielen interessierten Menschen wie noch nie über eine echte Kreislaufwirtschaft nach C2C diskutiert. Berlin hat sich für C2C NGO und unser C2C LAB als richtiger Standort erwiesen, um das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Erstmals traten neben der Bundesumweltministerin auch hochrangige Vertreter*innen aus dem gesamten deutschen Parteienspektrum sowie aus der europäischen Politik als Diskutant*innen auf: Cradle to Cradle ist also im politischen Bewusstsein angekommen. Zudem haben zahlreiche CEOs und Spitzenmanager von Unternehmen, die bereits nach C2C arbeiten, den Congress bereichert und das Thema durch Praxisbeispiele greifbar gemacht.“

Tim Janßen, Geschäftsführender Vorstand C2C NGO

„Wir müssen mehr erreichen als das 1,5 Grad Ziel. Die Dringlichkeit von Klimaschutz ist in der Gesellschaft angekommen. Jetzt geht es darum, von dieser Erkenntnis zum Handeln zu kommen. Das bedeutet für uns: Produkte von Beginn an neu und für ihre Nutzungsszenarien zu designen, in der Produktion kreislauffähige und gesunde Materialen sowie Erneuerbare Energien zu verwenden und soziale Standards einzuhalten. Nur so erreichen wir eine echte Kreislaufwirtschaft nach C2C.“

Nora Sophie Griefahn, Geschäftsführende Vorständin C2C NGO

Die Aufzeichnung der Diskussionen aus dem Hauptsaal finden Sie auch bei YouTube.

Der Congress wurde auf Instagram, Twitter und Facebook begleitet.

Auf unserer Webseite finden Sie in den kommenden Tagen zudem weitere Informationen zum Congress sowie hochauflösende Presse-Fotos.

Herzliche Grüße,

Birgit Goldbecker & Isabel Gomez


Politik

Umwelt- und Klimaschutz sind endlich in der Prioritätenliste der Gesellschaft weit nach oben gerückt, sagten Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen, Geschäftsführende Vorständ*innen von Cradle to Cradle NGO bei ihrer Begrüßung am Freitag. „45 Prozent der Emissionen können in der Produktion eingespart werden, wenn diese nach Cradle to Cradle Kriterien ausgerichtet ist”, so Griefahn. Cradle to Cradle beginnt bereits bei der Entwicklung eines Produkts oder einer Dienstleistung und definiert zunächst ein Nutzungsszenario. Davon ausgehend werden gesunde und komplett kreislauffähige Materialien ausgewählt, bei der Produktion auf erneuerbare Energien gesetzt und hohe soziale Standards eingehalten. Dabei ist unerlässlich, dass sich dieser Ansatz in sämtlichen Sektoren durchsetzt: Von der Kunststoffherstellung, über die Bereiche Bau und Architektur, Textilwirtschaft, Energieerzeugung und -versorgung bis hin zur gesamten Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie.

Bei ihrem Grußwort mit anschließender Diskussion sagte die Schirmherrin der Veranstaltung, Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Ich bin der Überzeugung, dass eine Lösung der Umwelt- und Klimaprobleme den Wirtschaftsstandort nicht schwächen wird“. Es sei wichtig, über Perspektiven und Chancen zu sprechen. „Ich habe mich deshalb sehr gefreut, als ich den Titel der heutigen Veranstaltung gelesen habe: Mehr als klimapositiv wirtschaften. Das finde ich sehr optimistisch, sehr visionär“, so Schulze weiter.

Für Schulze sind drei Punkte maßgeblich bei der Umsetzung eines nachhaltigen Umweltschutzes:

  1. Eine Lösung der Umweltprobleme könne nur gelingen, wenn alle dazu beitragen. „Auch die Industrie kann und muss Teil der Lösung sein“, so Schulze. Der Weltmarktanteil grüner Technologien aus Deutschland liege bei rund 15 Prozent. Bis 2025 werde sich der Bedarf danach von derzeit 3.200 Mrd. auf 5.900 Mrd. Euro verdoppeln.
  2. Lösungen müssten sozial ausgewogen sein. „Klimaschutz müssen sich alle leisten können“, so Schulze weiter.
  3. Die Aussagen einzelner Umweltschutzgruppen, die Demokratie sei zu schwach, um Ideen in die Tat umzusetzen, bezeichnete Schulze als „bedrohlich“. „Klimaschutz muss in einem demokratischen System gelingen“, so die Bundesumweltministerin.

Auch Schulze geht nicht davon aus, dass das 2019 verabschiedete Klimapaket als politischer Aufschlag ausreicht, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen, sagte sie in der Diskussion mit Griefahn, Sabine Nallinger (Vorständin Stiftung 2° - Deutsche Unternehmer für Klimaschutz) und Reinhard Schneider (Geschäftsführender Gesellschafter und Inhaber Werner & Mertz GmbH). „Wir müssen dranbleiben, jedes Jahr nachlegen und weitere Maßnahmen einführen“, so Schulze.

Dabei sei die Verlockung, mit Verboten zu arbeiten, groß, stellte Schneider fest. „Manche Exzesse kann man so angehen, aber Verbote funktionieren nicht immer“, fügte er hinzu, weder für die Industrie noch für die Verbraucher. Letztere müssten abgeholt werden und zu einem Motor der nachhaltigen Entwicklung werden. „Nachhaltigkeit muss kein Verzicht sein und muss auch nicht teuer sein“, so Schneider. Für Unternehmen wäre aus seiner Sicht eine Feinjustierung der Steuerung über Steuern sinnvoll. „Es gibt noch immer zwei Industrien, die mit Erdöl arbeiten und nicht besteuert werden – das betrifft Kerosin und Virgin Plastic”, so Schneider. Damit nennt Schneider aus Sicht von C2C NGO einen wesentlichen Punkt, der stellvertretend für die Probleme des Recyclingsystems steht: Recyclingmaterial ist aktuell teurer in der Herstellung als Material aus Primärrohstoffen.

Sabine Nallinger nahm die Wirtschaft allgemein in die Pflicht. Auch die deutschen Unternehmen müssten sich ihrer Verantwortung für Umwelt und Klima stellen, sagte sie. „Klimafreundliche Technologien sind eine Chance, um im internationalen Wettbewerb besser zu sein als andere. Wir müssen noch viel mehr im Rahmen von C2C-Produktdesign, neuen Sharing-Modellen und neuen organisatorischen Lösungen schaffen“, so Nallinger. Für sie und Schneider sind höhere Kosten für grüne Technologien in Produktion und Handel keine Ausrede für Unternehmen. Wie bei jeder neuen Technologie sänken die Kosten, wenn sich eine Idee in der Breite durchsetze.

Das zweite politische Panel mit den Europapolitikerinnen Sarah Wiener (MdEP, Grüne) und Delara Burkhardt (MdEP, Sozialdemokraten) sowie Ladeja Godina Košir (Vorständin der Koordinationsgruppe der European Circular Economy Stakeholder Platform) vertiefte das Thema C2C in der Europapolitik mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft. Für C2C NGO sind die im Dezember 2019 vorgestellten Maßnahmen für mehr Klimaschutz, der Green Deal, ein Schritt in die richtige Richtung. Sie reichen allerdings längst nicht aus, um europaweit eine echte Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle zu implementieren.

Das sieht Godina Košir ähnlich. „In dem Maßnahmenpaket fehlen noch Ansätze für eine echte Kreislaufwirtschaft und Ecodesign. Wir müssen sinnvoller designen, dürfen den Bildungsbereich nicht vernachlässigen, und brauchen ein Anreizsystem für innovative Geschäftsmodelle“, sagte sie.

Burkhardt und Wiener haben dem Green Deal nach dem Motto „irgendwann müssen wir anfangen” zugestimmt – sehen aber noch großen Ergänzungsbedarf. „Mich hat empört, dass die Themen Landwirtschaft und Handel überhaupt nicht in dem Paket vorkommen. Wir können kein nachhaltiges Wirtschaftssystem schaffen, wenn die Landwirtschaft ausgenommen ist. Fehlende Biodiversität und soziale Standards sowie vergiftete Böden sind extrem komplexe Probleme der europäischen Landwirtschaft“, so Wiener. „Wo die europäische Politik von Cradle to Cradle lernen kann ist, aus ihrem Silodenken heraus zu kommen: Nicht nur in den einzelnen Politikbereichen für sich selbst zu schauen, sondern in Zusammenhängen zu denken. Vor allem, wenn es um internationale Lieferketten geht“, sagte Burkhardt.

Dass die Themen Umweltschutz und echte Kreislaufwirtschaft im gesamten politischen Spektrum angekommen sind, zeigte die Anwesenheit von Elisabeth Winkelmeier-Becker, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, sowie Gunther Beger, Ministerialdirektor der Abteilung Grundsatzfragen, Wirtschaft, Handel, ländliche Entwicklung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Winkelmeier-Becker war bei ihrem Auftritt erstaunt, dass sich das Wirtschaftsministerium bisher wenig in Sachen C2C engagiert habe. Das solle sich ändern, da der C2C-Ansatz vor allem auch wirtschaftlich sinnvoll sei. Sie stellte in Aussicht, das Thema Umsatzsteuer auf Sachspenden im Zusammenhang mit Produktvernichtung anzupacken. Diese Besteuerung sei „ein völliger Fehlanreiz”, sagte sie. Zudem müssten „Geschäftsmodelle, die C2C oder Circular Economy umsetzen, bereits frühzeitig vermehrt und stärker gefördert werden”.

Bereits umgesetzt ist der Grüne Knopf des BMZ, das erste staatliche Siegel für sozial und ökologisch nachhaltig hergestellte Textilien, dass den C2C-Standard als eines der wenigen „glaubwürdigen Siegel“ anerkennt. Beger berichtete von starkem Gegenwind bei der Entwicklung - obwohl eng mit Unternehmen zusammengearbeitet worden sei. Mit Blick auf die Abfallstatistik des Textilsektors sei bei der Weiterentwicklung des Siegels die Kreislaufschließung wichtig. „Hier ist C2C ein Leuchtturm”, so Beger. Weil sich viele Firmen bei freiwilligen Ansätzen vor ihrer Verantwortung drückten, sieht er keine andere Option als gesetzliche Regelungen. „Wir müssen darüber Mindeststandards setzen, denn man kann nicht jedes Produkt einzeln betrachten”, so Beger.

Für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Dr. Anton Hofreiter, muss das Recyclingsystem verändert und verbessert werden. „Erdöl ist steuerfrei, wenn Plastik daraus entsteht. Und wenn recyclingfähiges Plastik als Wertstoff exportiert werden kann und dann in der Umwelt landet, dann liegt hier ein Problem”, sagte er. Aus seiner Sicht müssten Mehrwegsysteme auf weitere Bereiche übertragen werden. Zudem forderte er strengere und sektorenübergreifende Regeln für die Entsorgung. Klimazölle seien unabdingbar, da nur so auch importierte Produkte einbezogen werden könnten.

Special Track Food

Inhaltlicher Schwerpunkt des Cradle to Cradle Congresses war die Lebensmittelindustrie mit all ihren Subsektoren: Vom landwirtschaftlichen Anbau und Carbon Management in Böden über die Verpackung bis hin zur Logistik entlang der gesamten Lieferkette.

Verpackungen der Zukunft

Plastik wird im Zusammenhang mit Klimaschutz oft verteufelt. C2C NGO tut das nicht. Für Verpackungen kann das Material beispielsweise grundsätzlich sinnvoll sein, wenn sorgfältig auf die Auswahl der Inhaltsstoffe geachtet wird und damit letztlich und vor allem auch eine Kreislaufführung gewährleistet werden kann.

„Kunststoffe stehen zu Recht in der Kritik”, sagte der Experte für Biokunststoffe sowie Kunststoff- und Kreislauftechnik, Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres, daher. „Man hat es in diesem Bereich versäumt, vom linearen Denken ins Kreislaufdenken zu kommen“, fügte er hinzu. Dabei gebe es viele Bereiche, in denen Kunststoffe nötig seien. Allerdings müssten nachwachsende Rohstoffe dabei eine größere Rolle einnehmen. Er forderte eine spezifische Gesetzgebung dafür.

Das Geschäftsmodell von IFCO Systems, dessen Kernprodukt Kisten für den Transport von Frischwaren sind, basiert auf Plastik. Und auf dem Mehrweggedanken, wie CEO Wolfgang Orgeldinger betonte. Feuchtigkeit sei bei Plastik - im Gegensatz zu Papier - kein Problem, genau wie Belüftbarkeit und Stabilität. „Funktional einwandfreie Verpackungen sind möglich und gleichzeitig können solche Verpackungen auch C2C sein”, so Orgeldinger. Er plädierte für strengere Regeln für Müllvermeidung. Denn heute gelte: Wenn Einweglösungen genauso gut und praktikabel seien wie Mehrweglösungen, entschieden sich Unternehmen und Verbraucher meist für Einweg. „Die Entsorgungskosten müssen in den Preis mit rein“, so Orgeldinger.

Mit Bio Futura stellt Mitgründer Wouter Moekotte komplett kompostierbare Verpackungen her. Das Unternehmen hat sich seit der Gründung 2008 so zu einem führenden europäischen Lieferanten von biologisch abbaubaren Verpackungen für Gastronomie, Catering und Take-Away entwickelt. Moekotte sieht daher den Weg der Verpackungsindustrie von einem auf fossilen Rohstoffen beruhenden Geschäftsmodell hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft, in der Abfälle aus der Landwirtschaft zunehmend als Ressourcen für Verpackungen verwendet werden, als unumgänglich an.

C2C Druck

„Wir gehen auf dieser Erde nicht nachhaltig mit unseren Ressourcen um“, sagte Heiner Klokkers, CEO des Druckfarbenherstellers Hubergroup. Er fordere aus diesem Grund Unternehmen, Verbraucher und die Politik zum Handeln auf. Bei der Hubergroup geschehe dies bereits, denn das 255 Jahre alte Familienunternehmen wolle auch weiterhin erfolgreich sein. „Wir sind mit einem Umsatz von 1 Mrd. Euro mit Druckfarben einer der größten Hersteller weltweit und der erste, der nach C2C zertifiziert wurde. Und wir haben schon einige Projekte mit Endkunden umgesetzt“, so Klokkers.

Eines dieser Projekte gilt als Leuchtturm in der Druckindustrie - weil dadurch eine kreislauffähige Produktgruppe für den Massenmarkt entsteht: Die C2C-zertifizierten Farben von Hubergroup werden von der Firma Töpfer Kulmbach auf ökologisch abbaubare Flaschenetiketten für den Bierhersteller Carlsberg gedruckt.

Doch Druck nach C2C ist auch in anderen Branchen längst möglich und wird umgesetzt. Ein weiteres Beispiel ist das schweizerische Familienunternehmen Voegeli, das nach C2C Kriterien mit Gold-Standard zertifiziert ist. Über EU-weite Kooperationen mit Druckereien will Voegeli laut Marketing- und Druckchef Jan Niklas Betz das Thema noch bekannter machen. Voegeli bedruckt unter anderem die Verpackungen der Modemarke Calida, deren Textilien ebenfalls C2C-zertifiziert sind.

Landwirtschaft und Bodenmanagement

„Wir haben mit unserem Wissen Schuld auf uns geladen“, sagte Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, einer der Wegbereiter für ökologischen Landbau, zum Thema Landwirtschaft und Bodenmanagement. Ursprünglich bedeute Landwirtschaft Kreislaufwirtschaft und Biodiversität. Allerdings habe unsere Gesellschaft diesen Pfad verlassen und sich durch den Fokus auf lineares Wachstum in eine Abwärtsspirale der Schädigung begeben: Rund 40 Millionen Tonnen Treibhausgase würden in Deutschland jährlich aufgrund der Übernutzung von Grünland und Niedermooren emittiert.

„Wir brauchen ein neues Verständnis für Landwirtschaft und ihre Rolle in der Gesellschaft. Es geht nicht nur um Lebensmittel - Landwirtschaft muss als Gemeinwohlgut begriffen werden“, so Vogtmann. Er fordert einen Abbau schädlicher Subventionen weltweit, eine Reduktion von Flächenverbrauch, einen Stopp des Artenverlustes und die Wiedervernässung der Böden. Dazu gehörten auch Änderungen um Boden- und Bergrecht, um die Verteilung von Boden umzugestalten.

Die Beratungsfirma Soil & More beschäftigt sich mit genau diesen Themen. Mitgründer Tobias Bandel erläuterte, dass der Verlust von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche auch finanzielle Auswirkungen für die Landwirtschaft habe. Diese würden noch viel zu wenig beachtet. Versicherungen bezögen dieses Thema indes bereits in ihren Konditionen mit ein, so könne der Fokus auf langfristige und künftige Profitabilität gerichtet werden. „Landwirtschaft kann bezüglich ihrer Emissionen und auch ökonomisch netto positiv sein“, so Bandel. „Ich finde es daher super, dass der Finanzmarkt uns an diesem Punkt zur Ökologisierung zwingt“, so Bandel weiter.

Auch Dr. Martin Lebek beschäftigt sich mit Bodenmanagement. Der Geschäftsführer von Remondis Aqua Industrie ist Spezialist für Wassermanagement und die Rückgewinnung von Phosphor. Landwirtschaft und Industrie in Europa müssten diesen wichtigen Rohstoff importieren. Aufgrund abnehmender Ressourcen und der Verschlechterung der Rohstoffqualität werde die Versorgung damit immer schwieriger. Remondis habe jahrelang an der Rückgewinnung von Phosphor aus Abfällen wie industriellen Abwässern geforscht. Das daraus entstandene und patentierte Verfahren konzentriert Phosphor im Klärschlamm. So ließen sich nicht nur Düngemittel für die Landwirtschaft, sondern auch hochwertige Phosphorsäuren für die Industrie zurückgewinnen, so Lebek.

Neue Landwirtschaft - Ernährung der Zukunft

Bärbel Dieckmann stand zehn Jahre lang der Welthungerhilfe vor und ist im Vorstand von C2N NGO. Sie erörterte mit Anne-Kathrin Kuhlemann, Mitgründerin von Be Food und Stadtfarm, Dr. Maximilian Abouleish-Boes, Nachhaltigkeitsmanager der Sekem Holding, sowie Slow-Food-Koch Hubert Hohler die Frage, wie Landwirtschaft aussehen muss, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können und dabei keinen weiteren Raubbau an der Natur zu betreiben.

„Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht. Das wird im Moment nicht erfüllt”, so Dieckmann. Ein Drittel der heutigen Lebensmittelproduktion würde auf dem Weg zum Konsumenten vernichtet - durch Nachernteverluste sowie beim Verbraucher. Das Resultat: „Über 800 Millionen Menschen hungern, obwohl ausreichend Nahrungsmittel da sind, um sie zu ernähren“, so Dieckmann.

Stadtfarm will dieses System ändern. Stadtfarms sogenannte Aquaterraponik zeichne sich durch einen komplett geschlossenen Kreislauf und den Verzicht auf Antibiotika aus, sagte Geschäftsführerin Kuhlemann. Sie produziert in Berlin-Lichtenberg jährlich 50 Tonnen Fisch. Das Wasser wird, gefiltert durch Pflanzen, für den Anbau von 30 Tonnen Gemüse verwendet. Anschließend geht es zurück in die Fischzucht. Bis auf Verdunstungsmengen bleibe es so vollständig im Kreislauf. Stadtfarm sei trotz des kapitalintensiven Geschäftsmodells operativ profitabel. Derzeit arbeite Stadtfarm an vegetarischem Fischfutter sowie dem Aufbau einer zweiten Farm - und führt Gespräche mit Ländern, in denen Wasserknappheit ein dringliches Problem ist: „Wenn man die Lebensmittelproduktion wirklich verändern möchte, dann müsste das in viel größeren Maßstäben passieren“, so Kuhlemann.

Dr. Maximilian Abouleish-Boes ist bei der ägyptischen Sekem Holding für den Bereich Nachhaltigkeit zuständig. Für ihn ist der Umgang der Menschheit mit der Erde eine Art Bewusstseinskrise. „Handeln und die Folgen des Handelns werden bei Kaufentscheidungen nicht zusammengebracht. Was man als Mensch kaum sieht: Die Natur stellt einen Wert bereit und erhält ihn“, so Abouleish-Boes. Die bei Sekem zusammengeschlossenen Kooperativen exportieren rund 30 Prozent ihrer Produktion. Dabei werde auf eine ausgewogene Preisgestaltung geachtet, damit einige Lebensmittel für jeden erschwinglich seien.

Hubert Hohler, Mitglied der Chef Alliance der Slow-Food-Bewegung, hat ganz konkrete Handlungsempfehlungen für eine zeitgemäße Ernährung. „Der erste Schritt zur gesunden Ernährung ist wieder selbst zu kochen”, ist er überzeugt. Eine nachhaltige Ernährung zeichne sich durch überwiegend Pflanzenkost, eine fettarme Zubereitung und die Verwendung von wenig verarbeiteten Produkten aus. Auch in der Gastronomie sieht er noch Nachholbedarf. Pflanzen seien dort nach wie vor eher Beilage als Hauptbestandteil von Mahlzeiten.

Lieferketten in der Nahrungsmittelindustrie

Sowohl Alfred Ritter, Vorsitzender des Beirats der Alfred Ritter GmbH & CO. KG, als auch Ulrich Walter, Gründer des Biolebensmittelhändlers Lebensbaum und Beirat C2C NGO, haben sich in ihrem Leben ausführlich mit den Lieferketten der Nahrungsmittelindustrie auseinandergesetzt. Und beide kommen zu dem Schluss, dass Landwirte vor allem Planungssicherheit bräuchten sowie Schulungen zum richtigen Umgang mit Böden, um die Nährstoffauswaschung zu stoppen. Beide stellten Ansätze für mehr Nachhaltigkeit in den Lieferketten zur Gewinnung der Rohstoffe für ihre Unternehmen vor - Kakaobohnen bei Ritter sowie Kaffeebohnen und Tee bei Lebensbaum. Obwohl es solche Beispiele gibt, ist ein Großteil der Lieferketten, insbesondere bei großen Handelsketten, nicht nachhaltig ausgerichtet. „Wir sind ein preisfokussiertes Volk“, sagte Walter zur Erklärung. Der Preis sei die größte Waffe großer Handelsketten. Er und Ritter plädierten für noch mehr Austausch dazu zwischen allen Akteuren und vor allem den Endverbrauchern. „Es geht, indem man etwas mehr macht als nötig ist“; so Walter.

Best Practice Aquafil, C&A, Renewcell

Giulio Bonazzi vertrat beim Congress das einzige europäische Unternehmen, dass es 2019 auf die Shortlist jener Unternehmen schaffte, denen das Magazin Fortune zutraut, die Welt zu verändern. Aquafil begann 2008 mitten in der Finanzkrise mit der Produktion nachhaltiger Garne für die Textil- und Teppichindustrie. Aquafil nutzt bei der Herstellung ihres Econyl Nylon Garns das unendlich kreislauffähige Polyamid 6. Das Garn entsteht unter anderem aus gebrauchten Fischnetzen und wird so gereinigt und aufbereitet, dass es zur Herstellung unterschiedlicher Textilprodukte wiederverwendet werden. Später kann so beispielsweise aus einem Teppich ein T-Shirt entstehen, ohne, dass dabei giftige Substanzen enthalten sind. „Das geht weit über normales Recycling hinaus”, so CEO Bonazzi. Jährlich verwertet Aquafil, einer der zehn größten Garnproduzenten weltweit, rund 40.000 Tonnen Nylon. Die Schwierigkeit für Aquafil bestehe darin, dass viele Materialien, die aus den Weltmeeren oder von Müllkippen stammen, nicht Cradle to Cradle entsprechen. „Viele Materialien sind heute noch nicht dafür designt, wiederverwendet zu werden“, so Bonazzi.

Jeffrey Hogue ist Chief Sustainability Officer bei C&A, einem Konzern, der Millionen Endkunden erreicht. Als er vor rund fünf Jahren in das familiengeführte Unternehmen kam, gaben die Eigner das Ziel aus, C&A zu einem führenden Player der Kreislaufwirtschaft zu machen. „Cradle to Cradle stellte sich als einziger holistischer Ansatz heraus”, sagte Hogue im Gespräch mit Tim Janßen, Geschäftsführender Vorstand C2C NGO. Für die Entwicklung der ersten T-Shirts nach Cradle to Cradle habe C&A rund ein Jahr benötigt. Da waren technische Hürden, die es zu überwinden gab, aber auch viel interne Überzeugungsarbeit zu leisten. Und die große Frage, ob Konsumenten das Produkt überhaupt kaufen würden.

Um die Kunden über die besondere Qualität der C2C-Kleidungsstücke zu informieren, greift C&A auf Informationen auf dem Preisschild zurück. Ein QR-Code führt zur Lieferkette, den Produktionsbedingungen sowie Rückgabemöglichkeiten des Kleidungsstücks, das dann wiederverwertet wird. C&A bleibt bei C2C weiter am Ball und präsentierte auf dem Congress den weltweit ersten Cradle to Cradle Platin-zertifizierten Stoff im Textilbereich. Nun arbeite er daran, aus diesem Stoff auch ein Cradle to Cradle Platin-zertifiziertes Kleidungsstück für den Massenmarkt herzustellen, so Hogue.

Renewcell zerkleinert benutzte Baumwolle und fertigt daraus zunächst Circulose - eine Art Brei, ähnlich wie bei der Papierherstellung. Daraus entstehen bei den Kunden textile Fasern und Garne für die Textilindustrie. Diese seien anschließend biologisch abbaubar und damit komplett kreislauffähig, so CEO Patrick Lundström. „Circulose ist klimapositiv, weil wir pro Kilo Circulose zwei Kilo Kohlendioxid einsparen”, sagte er weiter. Renwecells Technologie habe sich als skalierbar erwiesen. Heute produziere das Unternehmen jährlich 7.000 Tonnen Circulose an seinem Stammsitz in Schweden und wolle die Fertigung ausbauen. Einer der bekanntesten Kunden ist der Modekonzern H&M, der im März eine Circulose-Kollektion auf den Markt bringen will. Kritik an der Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, dem Greenwashing vorgeworfen wird, will Lundström nicht gelten lassen. „H&M ist einer der größten Hebel, um Nachhaltigkeit im Textilsektor durchzusetzen. Ich möchte mit allen Marken zusammenarbeiten, um die Umweltprobleme, die wir haben, zu lösen”, so Lundström.

C2C und Finanzierung

Wie C2C-Geschäftsmodelle finanziert werden können und was sich durch die Anwendung von C2C in der Finanzierung ändert diskutierten beim Congress Dr. Baris Calisan, Leiter Marketing und Kommunikation bei Green Growth Futura, Dr. Peter Mösle, Managing Director der Drees & Sommer-Tochter EPEA sowie Michael Schweikart, Mitgründer der Tomorrow GmbH. Ein Konsens der drei Speaker war, dass sich die Anwendung von C2C und die Einhaltung echter Nachhaltigkeitsstandards bei der Finanzierung zunehmend von einem Add-on zur Geschäftsgrundlage entwickeln. Speziell im Gebäudesektor, wie Mösle sagte. Materialausweise und Rückbaupläne würden die finanzielle Bewertung von Bauvorhaben erleichtern – leider steckten diese oft noch in den Kinderschuhen.

C2C & Standards

Ebenso wichtig wie politische Rahmenbedingungen sind für die Umsetzung von Cradle to Cradle in der Breite technische Regeln. Die Standardisierungsstelle DIN ist dabei, eine neue Norm für Umweltmanagementsysteme (ISO 14009-2020) einzuführen. Der Entwurf kann noch bis Ende März kommentiert werden, wie Amelie Leipprand und Benjamin Hein vom DIN e.V. erzählten. Zudem beschäftigten sich die DIN-Gremien mit neuen Standards für Materialien und Verpackungen. „Standards sorgen für Vertrauen. Sie sind Teil der C2C-Lösung“, so Leipprand.

Dr. Christina Raab ist Vizepräsidentin des Products Innovation Institute, das den C2C-Standard entwickelt und danach zertifiziert. Ziel sei „eine wachsende Ökonomie, in der sichere und gesunde Materialien auf intelligente Art und Weise in Kreisläufen zirkulieren und in der so produziert wird, dass die Produktion positive Auswirkungen auf Menschen und die Umwelt hat“. Das PII zertifiziert Produkte nach den fünf Kriterien „Chemikalien und Materialien“ (die sicher für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und den künftigen Gebrauch sein müssen), „Kreislauffähigkeit“, „Erneuerbare Energien“ bei der Produktion, „Wasserverbrauch“ und „soziale Standards“. „C2C ist ein praktisches Werkzeug, um viele der Social Development Goals zu erreichen. Außerdem ist es ein globaler Standard, Unternehmen können durch diese Zertifizierung zusätzliche Anerkennung erhalten”, so Raab.

Tina Kristensen, Head of Marketing & Communication beim Akustikplattenhersteller Troldtekt ist diesen Weg schon gegangen. Für sie ist C2C ein Umweltstandard, für dessen Implementierung es einen strategischen Ansatz im Unternehmen benötigt. Troldtekt habe sich dieser Herausforderung gestellt. Die klare Entscheidung für C2C habe mit der Ganzheitlichkeit des Konzeptes zu tun gehabt. „Nicht alle anderen Umweltnormen denken an die C2C-Prinzipien”, so Kristensen.

C2C in Kommunen

Helge Viehweg hat mit Straubenhardt Großes vor. Der Bürgermeister hat sich dem Netzwerk Cradle to Cradle Modellregionen von C2C NGO angeschlossen. Straubenhardt bei Pforzheim sei eingeschlossen von wirtschaftsstarken Kommunen und er habe sich die Frage gestellt, wie die Gemeinde es schaffen kann, sich in diesem Wettbewerb abzusetzen und Verantwortung für Flächen und Ressourcen zu übernehmen. „Der Gemeinderat und ich hielten Cradle to Cradle für einen innovativen Weg für die Zukunft. Und wir haben beschlossen, nicht lange darüber zu reden, sondern einfach zu machen“, so Viehweg. Seit März 2019 baut die erste C2C-Modellregion Baden-Württembergs ein Feuerwehrhaus mit geringerem Flächenverbrauch und mit der Nutzung kreislauffähiger Materialien.

Die Stadt Mülheim ist eine andere Größenordnung als Straubenhardt. Dr. Monika Griefahn, Beiratsvorsitzende C2C NGO, Ministerin a.D. und Mitgründerin von Greenpeace Deutschland, kandidiert dort im September bei der Wahl zur Oberbürgermeister*in für die SPD. Und das mit dem klaren Ziel, Cradle to Cradle auch in ihrer Heimatstadt fest zu verankern. Es gebe zahlreiche Vorbilder für C2C-Gebäude, an denen sich auch Mülheim orientieren könne, so Griefahn. Vom Rathaus in Venlo, über den Park 20/20 in den Niederlanden, den Wood Cube auf der Hamburger Bauausstellung, die RAG-Hauptverwaltung auf der Zeche Zollverein in Essen, bis hin zu Projekten in Dortmund und eben Straubenhardt.

Für Laura Vidje, Mitinitiator von Nordic Circular Cradlenet, war 2013 vor allem die Stadt Venlo ein Vorbild, als sie in der schwedischen Stadt Ronneby begann, Cradle to Cradle einzuführen. Durch einen Showroom sei es gelungen, die Bürger*nnen abzuholen und ihnen zu verdeutlichen, welche Vorteile Cradle to Cradle ihnen bringen würde. „Wir haben es geschafft, den gesündesten Kindergarten in Schweden zu bauen. Seit 2014 hat uns leider keiner herausgefordert und einen noch gesünderen gebaut“, so Vidje.

Andre Dzikus arbeitet bei UN Habitat auf internationaler Ebene an gesünderen Lebensumgebungen für Menschen. Die Urbanisierung sei einer der fünf Megatrends des 21. Jahrhunderts. Heute lebten 55 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Räumen, mehr als 4 Milliarden Menschen. In den nächsten 30 Jahren werde diese Zahl auf 6,5 Milliarden steigen. „Wir haben die Möglichkeit, diese Städte mitzugestalten. Vor allem diejenigen, die noch gar nicht gebaut sind. C2C-Akteure sollte in Kontakt mit den Städten treten und dafür sorgen, dass die C2C-Kriterien beim Bau dieser Städte Anwendung finden“, so Dzikus.

C2C in der Textilwirtschaft

New C2C Technologies in Textiles

Für Andreas Röhrich, Leiter Produktentwicklung und Innovation beim österreichischen Textilhersteller Wolford, hatte die Einführung von C2C und die Zertifizierung auch etwas mit einem schlechten Gewissen zu tun. „Die Textilindustrie ist nach der Ölindustrie die schädlichste Branche der Welt. Wir wollten das ändern und haben uns daher für Cradle to Cradle entschieden“, sagte Röhrich. Er sei stolz darauf, dass es Wolford gelungen sei, Produkte für den technischen und den biologischen Kreislauf auf den Markt zu bringen. Schwieriger sei die Vermarktung gewesen, weil es einfacher sei, über die neuesten Fashion-Trends in Paris zu sprechen als über die Kompostierbarkeit von Kleidung.

Zudem sei es beim Start des Cradle to Cradle Ansatzes bei Wolford 2013 schwierig gewesen, alle Zulieferer mitzunehmen. Seine Marketingkollegen überzeugte Röhrich letztlich damit, dass das mediale Interesse an der C2C-Produktlinie groß war. Und damit, dass es keine Einbußen bei der Qualität gab. Bis 2025 wolle Wolford 50 Prozent des gesamten Angebots mit dem C2C Gold-Standard zertifiziert haben, so Röhrich. Derzeit stehe die Produktlinie für 4 Prozent des Umsatzes, auch dieser Anteil soll sukzessive steigen.

C2C-Textilien: Standards in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik

Nachhaltigkeit habe bei Trigema schon immer eine wichtige Rolle gespielt, sagte Bonita Grupp, die in dem Familienunternehmen für E-Commerce und Personal zuständig ist. Seit rund 10 Jahren beschäftigt sich das Unternehmen auch mit C2C. Die zertifizierten Produkte des Textilherstellers haben Silber-Standard und Ziel sei es, die nächste Stufe zu erklimmen. Doch damit seien durchaus Herausforderungen verbunden. Weil die Herstellung bei Trigema regional erfolge und noch teurer werde, wenn geringe Produktionsmengen anfielen. Obwohl die Kunden Nachhaltigkeit und Langlebigkeit wollen, komme C2C noch nicht ganz bei ihnen an.

Für den Discounter Lidl sei C2C zwar ein noch junges Thema, so Alexander David, Bereichsleiter Gesellschaft und Umwelt, die C2C-Zertifizierung sei aber ein für Lidl wichtiger Indikator. Das Unternehmen habe viel positive Resonanz erhalten. Lidl lasse ihre C2C-Linien unter anderem in Südostasien produzieren, da es bedeutend sei, hohe Fertigungsstandards auch in Ländern wie Bangladesch umzusetzen.

C2C im Bauwesen

Das C2C LAB: Cradle to Cradle Sanierung im Bestand

In seinem Vortrag über das C2C LAB führte der Geschäftsführende Vorstand von C2C NGO, Tim Janßen aus, dass die heutige Bauindustrie 40 bis 50 Prozent aller vorhandenen Rohstoffe beanspruche. Der Gebäudesektor sei demnach für etwa die Hälfte des weltweit produzierten Mülls verantwortlich. Weil die heutige Baukultur sämtliche Nachhaltigkeitsziele torpediere, so Janßen, müsse sie grundlegend geändert werden. Janßen zeigte auf: Mit dem Designkonzept von C2C werden Gebäude zu Rohstoffdepots, reinigen die Innen- und Außenluft und sind nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv - dies sei sowohl im Neubau als auch in der Bestandssanierung möglich.

Konkret zeichnete er dies an der Entstehung des C2C LAB nach, das auf 400m2 Bildungszentrum, NGO Headoffice und Reallabor ist. Entstanden ist es in einem 1986 fertiggestellten DDR-Plattenbau, der nach den strengen Kriterien von Cradle to Cradle saniert werden konnte: So wurden beispielsweise Fenster, Böden und Kabel so verbaut, dass sie wieder komplett rückbaubar und kreislauffähig sind. Planung, Prüfung und Entsorgung seien sehr aufwendig gewesen, stellte Janßen fest. Firmen mussten beispielsweise überzeugt werden, Materialien nicht voll zu verkleben. Viele individuelle Lösungen hätten die Realisierung erst ermöglicht. Eine C2C-Fassade mit integrierter Grauwasseraufbereitung zu Trinkwasser soll das C2C LAB perspektivisch ergänzen.

C2C bei einem der größten Immobilienentwickler der Welt

Dass Cradle to Cradle im Neubau nicht nur möglich, sondern auch wettbewerbsfähig ist, stellte Owen Zachariasse von JLL anhand des niederländischen Park 20/20 dar. Mit einem Investitionsvolumen von über 350 Millionen Euro seien in dem Projekt, das er 2008 für die Delta Development Group ins Leben rief, nahe dem Amsterdamer Flughafen Schipol knapp 120.000 m2 Büro-, Nutz- und Hotelfläche entstanden. Sie werden durch begrünte Außenanlagen, Gemüseanbauflächen und ein Habitat für seltene Schmetterlinge ergänzt. Das gesamte Areal werde durch 100 Prozent erneuerbare Energie versorgt, wobei 25 Prozent davon durch die 2500 m2 lokalen Solarpaneele entstünden.

Weil das zentrale Energiesystem 3 Prozent weniger Raum als üblich benötige, entstehe ein finanzieller Vorteil in Höhe von knapp 2 Millionen Euro über den gesamten Investitionszeitraum von 10 Jahren. In Kooperation mit „Eco Intelligent Growth“ seien alle Elemente des Baus auf das Erreichen der Sustainable Development Goals der UN ausgerichtet worden. Allein der jährliche Mehrwert, den etwa die durch den Einsatz der richtigen Pflanzen verbesserte Raumluft, die verbesserte Akustik und durchdachte Freizeitangebote durch Steigerung der Produktivität erzielten, läge bei 2,1 Millionen Euro.

Die klügere Raumaufteilung im Park 20/20 habe dafür gesorgt, dass auf 7.500 m2 die gleiche Arbeit wie auf den ursprünglich geplanten 10.000 m2 stattfinden könne, wodurch jährlich weitere 3 Millionen Euro eingespart würden. Unterm Strich habe das Projekt Mieteinnahmen ermöglicht, die um 25 bis 30 Prozent über dem Marktschnitt lagen; unter anderem dadurch läge die Rentabilität bei 13,6 Prozent - und das bei voller Berücksichtigung der Kriterien von Cradle to Cradle.

Leitfaden für die technische Gebäudeausrüstung nach C2C

Karsten Jurkait, Associate Director Advanced Building Engineering beim Ingenieurbüro Arup Deutschland und Johannes Stiglmaier, Sprecher Bündnis Bau & Architektur C2C NGO, haben gemeinsam einen Leitfaden für die technische Gebäudeausrüstung nach C2C geschrieben. Dabei handele es sich weniger um eine konkrete Handlungsanweisung, sondern eher um einen Rahmen, in dem Architekten und Bauträger denken sollten, so Jurkait. Mit der kostenlosen Bereitstellung des Leitfadens auf der Arup-Webseite wolle das Büro zum öffentlichen Diskurs über C2C beitragen.

Jenseits der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit wird oft mit Verzicht in Verbindung gebracht. Ralf Fücks, Grünen-Politiker und Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne in Berlin, sowie der C2C-Vordenker und Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, Prof. Dr. Michael Braungart, sind seit vielen Jahren in der Umweltbewegung aktiv. Beide stemmen sich gegen die negative Konnotation, die mit Umwelt- und Klimaschutz in Verbindung gebracht wird, und den moralischen Zeigefinger, der in diesem Zusammenhang oft erhoben wird.

Wir wüssten heute als Gesellschaft, dass die Industrialisierung auf dem Raubbau an der Natur aufgebaut habe, angetrieben von fossilen Energien. „Aber die Antwort auf diese Krise ist eben nicht: Wir müssen zurück in ein vorindustrielles Zeitalter oder in ein neues, puritanisches Zeitalter der Askese“, sagte Fücks. Das sei angesichts der Entwicklung hin zu bald 10 Milliarden Erdenbewohnern nicht nur irreal, sondern in der Tendenz auch autoritär. „Die Alternative dazu ist das, was die C2C-Bewegung propagiert und tut: Auf Erfindungsreichtum, Innovation und Kreativität zu setzen. Und auf Co-Evolution mit der Natur“, so Fücks weiter.

Braungart sagte, die Gesellschaft müsse den Menschen als Chance sehen, nicht als Belastung. „Wir sagen den Menschen gerade im Prinzip: Es wäre besser, wenn du gar nicht existierst. Das führt zu Angst“, so Braungart. Er rief das Publikum dazu auf, für Cradle to Cradle aktiv zu werden, „weil das die einzige Positive Agenda ist“. Der Begriff Nachhaltigkeit sei wichtig gewesen, um den Ernst der Lage begrifflich zu machen: „Aber Nachhaltigkeit stagniert. Das ist wie kompostierbar, sozusagen das Minimum. Es geht um ein ganz neues Qualitätsverständnis. Ein Produkt, das Abfall werden kann, ist kein gutes Produkt“, so Braungart.

C2C & Tech

Cradle to Cradle zieht langsam, aber sicher auch in hochtechnologische Branchen ein. Das geschieht auch mit Hilfe von Unternehmen wie Circularise. Dessen Growth Manager Igor Konstantinov erläuterte auf dem Congress, wie das Unternehmen mithilfe der Blockchain Firmen beim Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft unterstützt. Ziel sei es, transparente Lieferketten zu ermöglichen und die Zusammensetzung von Produkten und Materialien bestmöglich zu überprüfen und nachverfolgen zu können. All diese Informationen verfolgten das Produkt die gesamte Wertschöpfungskette entlang, so Konstantinov.

Jörg Witthöft leitet den Standort Bielefeld von ZF Friedrichshafen mit einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen Euro. Der Standort produziert LKW-Kupplungen und arbeite damit einer spezifischen Zielgruppe mit einem geschlossenen Rücknahmekonzept zu, das alte Bauteile aufarbeite. In dieses System seien alle Lkw-Hersteller eingebunden. Rund 80 Prozent der von ZF gelieferten Bauteile würden zurückgeschickt und weiter verwertet. Das spare Material und Strom und sorge so für einen geringeren CO2-Ausstoß. Seit 2017 sind einzelne Produkte des Standorts C2C-zertifiziert und Witthöft will andere Hersteller und ihre Kunden in die Pflicht nehmen. „Wir sind schon in der frühen Phase der Produktentwicklung eingebunden, also beraten wir die Hersteller, wie wir Materialien durch krauslauffähige Alternativen ersetzen können”, so Witthöft.


Wir bedanken uns bei unseren Partnern des C2C Congresses, ganz besonders bei Hubergroup, IFCO Systems, C&A sowie Grohe.

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