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Corona-Krise: Die EZB muss die Staatsfinanzierung dem Finanzsektor entziehen

Ehemaliger Weltbank-Direktor Kurt Bayer unterstützt Attac als Finanzexperte

In der EU spitzt sich der Streit über die Finanzierung der Kosten für die Corona-Pandemie zu. Neun Länder fordern die Ausgabe von gemeinschaftlichen Eurobonds. Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich verweigern eine solche solidarische Lösung. Diese würde zwar eine gemeinsame Haftung der Euroländer für Anleihen bringen, die Kosten dafür würden jedoch weiterhin dem Kalkül der privaten Finanzmärkte unterliegen. Jene Länder, die besonders von der Pandemie betroffen sind, blieben so weiterhin Zielscheibe von Finanzspekulation und müssten für ihre Staatsanleihen höhere Zinsen an Banken und Fonds bezahlen. Dies wird die wirtschaftliche Krise weiter massiv verschärfen.

Attac plädiert dafür, nunmehr das Problem an der Wurzel zu packen und neoliberale EU-Dogmen aufzubrechen. Kurt Bayer (1), der Attac ab nun als Finanzexperte unterstützen wird, erklärt dazu: „Wir müssen die Finanzierung von Staaten endlich den profitorientierten spekulativen Finanzmärkten entziehen. Das Verbot direkter Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) muss fallen. Die EZB könnte Staaten direkt nahezu zinsenloses Geld zur Verfügung stellen, wie dies auch andere Zentralbanken wie die US-Notenbank tun.“

Das Verbot Staaten zu finanzieren, wird derzeit bereits halbherzig umgangen, indem die EZB am „Sekundärmarkt“ von Banken und Fonds Staatsanleihen aufkauft. Viel wirksamer und kostengünstiger wäre es, wenn die EZB Staatsanleihen ohne diese Umgehungskonstruktion kauft.

Attac warnt vor neoliberaler Zwangsjacke ESM

Gleichzeitig warnt Attac davor, die Fehler der vergangenen Eurokrise zu wiederholen. „Die neoliberale Zwangsjacke des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist das falsche Instrument. Mit den Krediten ist des ESM der Zwang zu einer radikalen Kürzungs- und Verarmungspolitik verbunden. Dieser Zwang zur „Konditionalität“ ist in der DNA des ESM verankert, er steht im Gründungsvertrag“, warnt Bayer. Die dramatische medizinische Lage in Südeuropa ist auch eine direkte Folge des Kaputtkürzens des Gesundheitswesens und der öffentlichen Infrastruktur durch die Auflagen der Troika und des ESM.

„Der aktuelle Konflikt um die Finanzierung zwischen den EU-Staaten zeigt erneut, dass die EU keine Solidargemeinschaft ist. Ihre vertraglichen Fundamente, auf die sich die „My Country First“-Regierungschefs berufen, sind auf Konkurrenz und Wettbewerb statt Gemeinsamkeit ausgerichtet. Sie müssen dringend an die Notwendigkeiten der Krisenfinanzierung angepasst werden. Bleibt diese in der Verantwortlichkeit der einzelnen Mitgliedsländer, könnte die EU daran zerbrechen“, erklärt Bayer.

 

(1) Kurt Bayer (Jg. 1943) war von 1971 bis 1995 als Finanzexperte am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung und danach als Gruppenleiter für österreichische und internationale Wirtschaftspolitik im Finanzministerium tätig. Von 2002 bis 2004 war er als Exekutivdirektor der Weltbank und von 2008 bis 2012 als Board Director in der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBRD) in London tätig. Er fungierte in den vergangenen Jahren zudem als Senior Research Associate beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche und Emeritus Consultant am WIFO.

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