Hauptsache billig: Was Corona über die Ausbeutung von Erntearbeiter*innen verrät

Die österreichische Landwirtschaft ist von Erntearbeiter*innen aus dem Ausland abhängig. Momentan dürfen sie nicht einreisen. Mit der Zwangsverpflichtung von Arbeitslosen und Asylerwerber*innen will die Landwirtschaftskammer gegensteuern. An den skandalösen Arbeitsbedinungen soll sich nichts ändern, kritisieren Aktivistinnen der sezonieri-Kampagne.

Erntearbeit gehört in Österreich zu den Branchen den niedrigsten kollektivvertraglichen Lohnniveaus und wird seit Jahren großteils von Menschen aus Osteuropa verrichtet. Im Moment können viele Saisonarbeitskräfte nicht einreisen und die Landwirtschaft sucht händeringend nach Ersatz. Aktivistinnen der sezonieri-Kampagne zeigen auf, wie das Corona-Virus ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft sichtbar macht.

Harte Arbeit für sieben Euro pro Stunde

Die harte Arbeit in der Landwirtschaft wird in Österreich, wie in den meisten Ländern weltweit, von migrantischen Saisonarbeiter*innen erbracht. Es sind zumeist osteuropäische Erntehelfer*innen aus Ungarn, Rumänien, Polen, der Slowakei, Bulgarien, der Ukraine oder den Balkanstaaten. Die Löhne sind niedrig, die Arbeitsbedingungen skandalös: Die Arbeitsverhältnisse sind befristet, die Netto-Stundenlöhnen liegen zwischen sechs und sieben Euro. Die Höchstarbeitsgrenzen werden oftmals ignoriert, die Unterkünfte sind überteuert und miserabel.

Auch Akkordlohn, unbezahlte Überstunden, keine und zu geringe Ausbezahlung der Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld etc.) und Verstöße gegen die Arbeitszeitregeln sind weit verbreitet. Da die Erntearbeiter*innen saisonal beschäftigt sind und nach der Saison in ihre Herkunftsländer zurückreisen, können sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld in Österreich nicht geltend machen. Sie scheinen deshalb auch nicht in der Arbeitslosenstatistik auf.

Die Landwirt*innen rechtfertigen die niedrigen Löhne in ihrer Branche einerseits damit, dass sie bei Preisverhandlungen vom stark konzentrierten Handel unter Druck gesetzt werden. Andererseits verweisen sie auf die Konkurrenz zu billigen Importen aus Ländern mit noch extremerem Lohndumping.

Forderung nach Zwangsarbeit

Durch die Corona-Krise und die Grenzschließungen von Nachbarstaaten wird nun plötzlich besonders deutlich, wie notwendig die Arbeit auf den Feldern für die Lebensmittelversorgung ist. Seit zwei Wochen berichten Medien über das Fehlen von mindestens 5.000 Arbeitskräften in der Landwirtschaft. Bäuer*innen klagen, dass die Erträge ausfallen und die Versorgung bald gefährdet sein könnte.

Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer sowie mehrere Ministerien haben daraufhin sehr schnell verschiedene Arbeitskräfte-Vermittlungsplattformen ins Leben gerufen, etwa „Die Lebensmittelhelfer“. Mit dem Aufruf „Dein Land braucht dich!“ wird diese von patriotischen Appellen nach nationalem Schulterschluss und Solidarität mit österreichischen Betrieben begleitet. Das bringt nun sogar einige rechtsextreme Burschenschaften dazu, zur Erntehilfe aufzurufen. Gleichzeitig werden Forderungen laut, bestimmte Bevölkerungsgruppen wie arbeitslos gewordene Menschen und Asylsuchende direkt in die Feldarbeit zwangszuverpflichten. Student*innen werden indes mit ECTS-Punkten und der Anrechnung als Pflichtpraktika gelockt.

Die sezonieri-Kampagne fordert: Niemand darf zur Erntearbeit gezwungen werden!

Wenn sogar die FPÖ für weniger Grenzkontrollen ist

Der nun auftretende Arbeitskräftemangel kann auch eine Machtverschiebung hin zu den Arbeitnehmer*innen bedeuten. Eine solche Verschiebung lässt sich etwa daran erkennen, dass Saisonarbeiter*innen statt der bisher gängigen Bezeichnung als „unqualifizierte Erntehelfer*innen“ in den Medien aktuell als „unser Fachpersonal” bezeichnet werden.

Ironischerweise tritt jetzt sogar die FPÖ Burgenland öffentlich gegen schärfere Grenzübertrittsbestimmungen ein. So will sie sicherstellen, dass Beschäftigte weiterhin ihrer Arbeit in der Landwirtschaft und im Gesundheits- und Pflegebereich nachgehen können. Auffällig ist auch, dass bei den aktuellen Grenzregulierungen sowohl für ungarische, slowenische als auch tschechische Tagespendler*innen Ausnahmeregelungen bestehen. Nun sollen Erntearbeiter*innen aus Rumänien und Bulgarien – ähnlich zu 24-Stunden-Pflegekräften – sogar mit Charterflügen eingeflogen werden. All diese Entwicklungen zeigen, wie sehr die österreichische Landwirtschaft von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig ist.

Das Mittel gegen Arbeitskräftemangel: höhere Löhne!

Die Klage über den Mangel an Arbeitskräften ist jedoch nichts Neues, ähnlich wie in der Gastronomie. Beide Branchen weisen besonders geringe Lohnniveaus auf. Die Anhebung der Löhne zur Lösung des vermeintlichen Arbeitskräftemangels steht nicht zur Debatte.

Was die Produzent*innen eigentlich meinen, wenn sie beklagen, es fehlten ihnen Erntearbeiter*innen: Es fehlen „billige“ Arbeitskräfte aus ärmeren Ländern, die ihren Arbeitsvertrag auf Deutsch nicht lesen können, ihre Rechte nicht kennen und im Zweifel die schlechten Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, weil sie keine Alternativen haben.

Kollektivverträge unter Armutsgrenze

Die Kollektivvertragsverhandlungen in der Landwirtschaft wurden kurz vor der Corona-Krise abgeschlossen. Die Nettostundenlöhne liegen zwischen 6,19 Euro in Oberösterreich und 7,41 Euro in Salzburg, die Nettomonatslöhne zwischen 1072,60 und 1283,59 Euro bei einer 40-Stunden-Woche – und damit in nur einem Bundesland knapp über der Armutsgefährdungsschwelle. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Erhöhung zwischen zehn und 61 Cent je nach Bundesland.

Der im Kollektivvertrag festgesetzte Lohn stellt freilich nur die gesetzliche Untergrenze dar. Jede*r Arbeitnehmer*in steht es frei, höhere Löhne zu fordern und jede*r Arbeitgeber*in kann diese bezahlen. Deshalb verfolgt die sezonieri-Kampagne das Ziel, Erntearbeiter*innen über ihre Rechte zu informieren und sie bei ihren Arbeitskämpfen zu unterstützen.

Eine neue Lebensmittelpolitik

In der Corona-Krise wird sichtbar, dass rot-weiß-rote Regionalität zu Supermarktpreisen auf der Ausbeutung von ausländischen Arbeiter*innen in der Landwirtschaft basiert. Neoliberale Politik hat demokratische Teilhabe und öffentliche Verantwortung zugunsten profitorientierter Interessen für Ernährung (Agrar- und Förderpolitik), Gesundheit, aber auch Bildung und Wohnen abgebaut.

Eine politische Kursänderung ist notwendig. Unsere Lebensmittelproduktion und -verteilung sowie die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten im Ernährungssektor sollen nicht weiter Ungleichheit fördernden Marktkräften und profitorientierten Privatkonzernen überlassen werden.

Die von der Gewerkschaft PRO-GE, NGOs und Aktivist*innen gegründete sezonieri-Kampagne setzt sich seit 2014 für die Aufklärung über Arbeitsrechte, Besserung von Missständen und die Förderung von Selbstorganisation von Arbeiter*innen in der Landwirtschaft ein.

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