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Inhaltsverzeichnis
SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 5
zurück D. Steuern
vor F. Ungerechtfertigte Bereicherung
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E. Willensmängel – Irrtum
I. Allgemeines
Die §§ 869–875 ABGB handeln laut Überschrift / Marginalrubrik vor § 869 ABGB von der „wahren Einwilligung” in einen Vertrag → Allgemeine Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse § 876 ABGB stellt klar, dass diese Regeln nicht nur auf vertragliche, sondern auch „auf sonstige Willenserklärungen, welche einer anderen Person gegenüber abzugeben sind” entsprechende Anwendung finden. Das kann zB eine einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung wie eine Kündigung oder eine Vollmachtserteilung sein; vgl JBl 1953, 576: Entlassung.
1. Wann unterlaufen Willensmängel?
Willensmängel unterlaufen idR im Vorfeld von Vertragsschlüssen. Man meint „A” und sagt „B” oder hat als Käufer vom Leistungsgegenstand andere Vorstellungen als der Verkäufer; vielleicht deshalb, weil der Verhandlungspartner sich nicht klar genug ausgedrückt hat oder dies gar nicht wollte. – Willensmängel spielen nicht nur im Schuldrecht, sondern auch im Familien-, Ehe- oder Erbrecht eine Rolle. Daher werden die Willensmängel im „Allgemeinen Teil” behandelt. – Aus dem weiten Kreis der Willensmängel wird idF der Irrtum als wichtigster Teilbereich umfassender dargestellt.


Willensmängel – Überblick
Abbildung 5.33:
Willensmängel – Überblick


Willensmängel (1)
Abbildung 5.34:
Willensmängel (1)


Willensmängel (2)
Abbildung 5.35:
Willensmängel (2)
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2. §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Das bedeutet natürlich nicht, dass bspw § 870 ABGB, der die vorsätzliche Täuschung und Drohung behandelt, unwichtig wäre. Vielmehr kommen immer wieder auch derart schwerwiegende Eingriffe in die Willensbildung anderer Vertragspartner vor. – In der Praxis sind aber absichtliche Täuschungen oder Drohungen schwerer zu beweisen, als bloßer Irrtum iSv objektiver Irreführung, weshalb häufig – auch bei „Vorliegen” einer Täuschung – auf den Irrtum ausgewichen wird, zumal dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht einmal ein Verschulden des in die Irre Führenden voraussetzen → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1989, 657: Ein sog Partnerschaftsvermittlungsinstitut verleitet einen Interessenten arglistig dadurch zum Abschluss eines Partnervermittlungsvertrags, weil es mit Fotos gar nicht vermittelbarer Fotomodelle warb. Ein solcher Vertrag ist, da List vorliegt, nichtig und den vom Interessenten gezahlten Betrag hatte das Institut zurückzuzahlen.
JBl 1999, 49 (Anm Apathy): Haftung des Drohenden für Vorsorgemaßnahmen des Bedrohten? – Aufwendungen für die Sicherung einer Wohnung durch eine Alarmanlage, ein Balkenschloss und eine Geheimnummer kann der telefonisch mit dem Umbringen bedrohte Wohnungseigentümer vom Drohenden, der sich der Wohnung nicht genähert und auch seine Drohung nicht wiederholt hat, nicht als Schadenersatz begehren. (?) – Diese E des OGH ist ein Beispiel dafür, wie anfechtbar Urteile praktisch und theoretisch sein können. Vgl dazu die Ausführungen zum sog Rettungsaufwand bei Vermögensschaden → KAPITEL 9: Vermögensschäden.
DRdA 2000/30: Erzwingung einer Arbeitnehmer-Eigenkündigung durch Drohung (Anm Rummel).
Die Rechtsfolge von Täuschung oder Drohung ist Nichtigkeit → Wie wirkt Nichtigkeit? Die Rspr lässt aber auch im Falle des § 870 ABGB die Rechtsfolge des § 872 ABGB – nämlich Vertragsanpassung – zu; vgl JBl 1991, 584.
Rechtsfolge
Drohung, Täuschung und Gewalt werden auch sonst von der Rechtsordnung nicht toleriert. So können Leistungen, die durch Drohung und/oder Anwendung von Gewalt bewirkt wurden und auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat – zB Zahlung einer Prostituierten an ihren Zuhälter – trotz § 1432 ABGB (→ Leistungskondiktionen – Überblick) zurückverlangt werden; RZ 1983/71 = HS 14.987.
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3. Wille, Vorstellung und Erklärung
Das Problem bei Willensmängeln liegt häufig darin, dass beim Abschluss von Rechtsgeschäften, Verträgen oder überhaupt bei der Abgabe von Willenserklärungen Vorstellung, Wille und Erklärung nicht oder doch nicht vollständig übereinstimmen. – Wie wir schon wissen, kommt ein Vertrag durch korrespondierende Willenserklärungen, also Konsens der Vertragsparteien zustande; Antrag und Annahme. § 869 ABGB verlangt zudem, dass die Einwilligung in einen Vertrag eine „wahre” sein muss und meint damit, dass die Willenserklärungen der Vertragsparteien frei von Fehlern sein müssen, insbesondere auch frei von Irrtum (§§ 871 ff ABGB) oder noch schwerwiegenderen Beeinträchtigungen der Willensbildung, wie Täuschung, Drohung oder Zwang → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Wahre Einwilligung
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4. Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie
Die gesetzlichen Regeln über Willensmängel benennen die Voraussetzungen, unter denen solche Fehler – zB ein bei Vertragsabschluss unterlaufener Irrtum – auch noch nachträglich korrigiert werden können. Dabei kann – wie auch bei der Rechtsgeschäftslehre – die Rechtsordnung nicht nur vom Willen des Irrenden ausgehen (sog Willenstheorie; §§ 565, 570–572 ABGB; § 901 Satz 3 ABGB), sondern hat auch auf die Rechtssicherheit des Rechtsverkehrs und die „andere” Seite des Vertragsschlusses zu achten. Das bedeutet, dass die Rechtsordnung auch der abgegebenen Erklärung selbst, wie immer sie gemacht wurde (sog Erklärungs­theorie) und dem Verständnis des Publikums (allgemein: des Erklärungsempfängers) Beachtung schenken muss; sog Vertrauenstheorie: Vgl auch → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
• Die Willenstheorie gilt nicht überall, sondern nur bei den unentgeltlichen Geschäften und letztwilligen Verfügungen; denn der Wille von Schenkenden oder Testierenden verdient umfassenden Schutz.
• Die Erklärungstheorie gelangt bspw bei Wechsel und Scheck, überhaupt Wertpapieren zur Anwendung, weil deren Umlauffähigkeit ausschließlich vom Erklärten abhängt und auf andere Gründe keine Rücksicht genommen werden kann.
• Bei den praktisch so wichtigen entgeltlichen Geschäften schließlich gilt ausschließlich die sog Vertrauenstheorie: Dh das Gewollte und Erklärte ist (verbindlich) nur so zu verstehen, wie es ein redlicher und verständiger Erklärungsempfänger nach der Verkehrsauffassung verstehen durfte: dies aus Rücksichtnahme auf die Verkehrssicherheit und den allgemeinen Verkehrsschutz: § 914 ABGB – „Übung des redlichen Verkehrs” → KAPITEL 11: Verkehrssitte.
Die Erklärung ist also nicht immer so auszulegen, wie der Erklärende meint oder es wollte, dass die Erklärung zu verstehen sei. Die Anwendung der Vertrauenstheorie führt zur Feststellung der dem Vertrag zugrundeliegenden Absicht „der” Parteien (§ 914 ABGB), also dem (hypothetischen) Willen beider Parteien und nicht nur der Absicht einer, der erklärenden Partei. – Kann durch die Anwendung der Vertrauenstheorie im Rahmen der konkreten Vertragsauslegung die Absicht der Parteien iSd § 914 ABGB festgestellt werden, kommt die Unklarheitenregel (§ 915, 2. HalbS iVm § 869 ABGB) nicht mehr zur Anwendung. Zu den sich oft überschneidenden Vertragsauslegungsregeln → KAPITEL 11: Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB.
Absicht „der” Parteien iSd § 914 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1987, 521: Matrose schließt Fernlehrvertrag mit Fernlehrinstitut über „Radio- und Fernsehtechnik” und fühlt sich idF überfordert. Fernlehrinstitut will „Rücktritt” (Ausstieg aus dem Vertrag) des Matrosen nicht gelten lassen. Leitsatz: „§ 871 ABGB: Im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten [cic!] darf sich das Fernlehrinstitut nicht mit der Selbsteinschätzung des Kursinteressenten begnügen, sondern hat durch geeignete Pädagogen zu prüfen, ob jener die Voraussetzungen für eine erfolgverheißende Teilnahme an dem Ausbildungskurs besitzt und dementsprechend aufzuklären. Wer in Verletzung seiner Aufklärungspflicht in contrahendo [→ KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo] den Gegner irreführt, muss beweisen, dass der Irrtum nicht wesentlich oder nicht einmal kausal war. Vgl die Rspr zur Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht → KAPITEL 10: Zur ärztlichen Aufklärungspflicht. Kein schlüssiger Verzicht auf die Irrtumsanfechtung, wenn der Irrende, der zunächst vom Vertrag loskommen wollte, an diesem doch festzuhalten erklärt, wenn er dabei noch in demselben Geschäftsirrtum wie bei Vertragsschluss befangen war.”
RG 5.3.1941, DR (A) 1941, 1753: Das ABGB steht hinsichtlich der Wirkung von Willenserklärungen nicht auf dem Boden der Willens-, sondern der Vertrauenstheorie.
Eine gemischte Schenkung (→ KAPITEL 3: Arten der Schenkung) kann wegen Irrtums zur Gänze angefochten werden; EvBl 1961/479.
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II. Arten des Irrtums
Die Unterscheidung in wesentlichen und unwesentlichen Irrtum kannte schon das ABGB von 1811. Die „3 Fälle” des § 871 ABGB stammen allerdings von der III. TN (1916). § 871 Abs 2 ABGB wurde erst 1979 angefügt. § 872 ABGB gilt aber noch heute in seiner ursprünglichen Fassung. – Die „Urfassung” des § 871 ABGB lautete: „Wenn ein Teil von dem andern Teile durch falsche Angaben irregeführt worden, und der Irrtum die Hauptsache, oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt worden; so entsteht für den Irregeführten keine Verbindlichkeit.”
Irrtum bedeutet falsche Vorstellung oder Unkenntnis der Wirklichkeit. – Unterlief bei Vertragsschluss der einen oder andern Vertragspartei ein Willensmangel / Irrtum, so ist dieser unter gewissen, gesetzlich umschriebenen, Voraussetzungen korrigierbar; und zwar entweder so:
Was ist Irrtum?
• dass die irrende Partei schließlich überhaupt nicht an den Vertrag gebunden bleibt, also vom Vertrag (nach erfolgreicher Anfechtung) abgehen kann; zB bei wesentlichem Irrtum (§ 871 ABGB) oder bei Täuschung (§ 870 ABGB) → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung;
• oder so, dass die Partei doch nicht „so” an den Vertrag gebunden sein, wie er geschlossen wurde (Vertragskorrektur oder -anpassung); § 872 ABGB, unwesentlicher Irrtum.
Die vom Gesetz her bestehende klare Unterscheidung in den Rechtsfolgen zwischen Täuschung und Drohung auf der einen sowie wesentlichem und unwesentlichem Irrtum auf der anderen Seite, wird von der Praxis / Rspr verwischt; zB wird die Vertragskorrektur sowohl bei Täuschung und Drohung, als auch beim wesentlichen Irrtum angewandt → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Willensmängel – und daher auch der Irrtum – wirken nicht von selbst (eo ipso), sondern müssen geltend gemacht werden, was durch Anfechtung geschieht. Anfechtbarkeit (→ Was heißt Anfechtung?) bedeutet, dass der Vertrag bis zur rechtskräftigen Nichtigerklärung gültig bleibt; JBl 1957, 240. – Natürlich kann eine irrende Partei auf das Geltendmachen ihres Irrtums auch verzichten. Dann bleibt der Vertrag (gültig) bestehen.
Anfechtbarkeit


Irrtumsarten – Überblick
Abbildung 5.36:
Irrtumsarten – Überblick
1. Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Zur Abgrenzung vom unwesentlichen Irrtum:
• Ein Irrtum ist wesentlich, wenn der Vertrag ohne ihn „gar nicht” geschlossen (!) worden wäre (§ 873 ABGB); und zwar: überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
• Unwesentlich ist ein Irrtum dann, wenn der Vertrag zwar geschlossen, aber bei richtiger Kenntnis der Umstände „doch nicht auf solche Art errichtet worden wäre” (§ 873 ABGB), vielmehr mit anderem Inhalt; zB mit anderer Menge, insbesondere anderem Preis, anderen Konditionen. – Dementsprechend variieren die Rechtsfolgen.
Rechtssprechungsbeispiel
GlUNF 109 (1898): Wesentlich ist der Irrtum über das ausdrücklich zur Bedingung erhobene Motiv iSd § 901 ABGB (zum Motivirrtum → Der Motivirrtum);
GlUNF 42 (1898) oder über die Echtheit einer Briefmarke (GlUNF 388) oder eines Bildes (ZBl 1916 Nr 3) oder über das Eigentum des Verkäufers (ZBl 1933 Nr 145): Ebenso wesentlich der Irrtum über den Preis eines Kaufobjekts.
• Der wesentliche Irrtum ermöglicht die Anfechtung und Beseitigung des Gesamtvertrags. Ist die Anfechtung erfolgreich, fällt der Gesamtvertrag und damit das Titelgeschäft dahin → „Wie wirkt” die Vertragsanfechtung?
• Beim unwesentlichem Irrtum nach § 872 ABGB dagegen, kommt es bloß zu einer Vertragskorrektur / -anpassung oder wie das Gesetz sich ausdrückt, zu einer „angemessenen Vergütung”. Der Vertrag bleibt hier aber aufrecht.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass die Meinungen, ob der Irrtum wesentlich oder unwesentlich war, leicht auseinandergehen und dass es – so etwa SZ 54/88 – jeweils auf den festzustellenden Willen der konkreten Parteien ankommt und nur dann, wenn sich dieser nicht (mehr) feststellen lässt, gemäß § 914 ABGB, auf den sog hypothetischen Parteiwillen abzustellen ist.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1956, 365 (Irrtum über Grundstücksgröße: zB statt 1500 m2 nur 1450 m2) abgedruckt im Franz Gschnitzer Lesebuch 754. Dieser Irrtum wird vom OGH als wesentlich, von Gschnitzer – zutreffender – als unwesentlich angesehen. (Am Meinungsunterschied zeigt sich, dass diese Grenze eine fließende ist!). Auch ein Personenirrtum (§ 873 ABGB) kann unwesentlich sein; so, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer (in bestimmter Hinsicht) für besonders qualifiziert hielt und ihm daher einen höheren Lohn bewilligte, sich dies aber als falsch herausstellt.
SZ 53/108 (1980) – Kauf einer Kleinwohnung: Verkäuferseite teilte Käufer mit, die Wohnung sei 50 m2 groß, sie hatte aber tatsächlich nur 40 m2. (Hier ist eher wesentlicher Irrtum anzunehmen! – Warum?)
SZ 54/88 (1981) – Pächter irrt über die Erträge der gepachteten Frühstückspension – Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „Unzweifelhaft handelt es sich nämlich bei der zugesagten Eigenschaft des verpachteten Unternehmens um eine, die im abgeschlossenen Geschäft wertbildend, also für die Bestimmung der Gegenleistung (Pachtzins) maßgebend war und deshalb zum Inhalt des Geschäfts gehört, weshalb der beim Kläger dadurch – die Unrichtigkeit der Zusicherung einmal vorausgesetzt – ausgelöste Irrtum als Geschäftsirrtum anzusehen ist. In diesem Falle müsste allerdings geprüft werden, ob der Geschäftsirrtum des Klägers ungeachtet seiner Wesentlichkeit ein unwesentlicher in dem Sinne war, dass beide Vertragsparteien den Vertrag ohne Irrtum ebenfalls, wenngleich mit einem anderen Inhalt, nämlich einem niedrigeren Pachtzins, geschlossen hätten, wozu in erster Linie der hypothetische Wille der Parteien ermittelt und, wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt werden könnte, die Frage beantwortet werden müsste, wie normale Parteien redlicherweise gehandelt hätten.”
Für die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums genügt es aber nicht, dass der Irrtum wesentlich war. Nach § 871 ABGB muss zusätzlich einer der folgenden „drei Fälle” alternativ dazukommen. Diese sind:
Die „3 Fälle” des § 871 Abs 1 ABGB
• ,,falls der Irrtum durch den anderen veranlasst war; oder
• diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste; oder
• noch rechtzeitig aufgeklärt wurde”.
Zu den ,,3 Fällen” des § 871 ABGB kommen noch zwei weitere, von der Praxis entwickelte „Fälle” dazu, die im Gesetz aber nicht aufscheinen und die sowohl Tatbestands- wie Rechtsfolgevoraussetzungen betreffen. Man kann daher heute von den ,,5 Fällen” des § 871 ABGB sprechen. – Die neu entwickelten Fälle sind:
Zwei weitere Fälle
Gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien. Hier steht das Anfechtungsrecht beiden Vertragsteilen zu; und zwar auch ohne das Vorliegen eines der „3 Fälle” des § 871 ABGB. Der Irrtum muss für den Anfechtenden aber „wesentlich” sein.
• Dass es auch beim wesentlichen Irrtum nach der Rspr uU zur Vertragsanpassung nach § 872 ABGB kommen kann.
Dieser letzte Fall stellt eine Rechtsfolgenanalogie aus § 872 ABGB für den Bereich des wesentlichen Irrtums dar! Zur identen Vorgangsweise bei der Täuschung → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 26/71 (1953): Im Falle eines nach § 871 ABGB beachtlichen wesentlichen Irrtums hat der Irregeführte die Wahl, an Stelle der Aufhebung des Vertrages (nach § 871 ABGB) nach § 872 ABGB vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung zu verlangen.
§ 871, Fall 1 ABGB – ,,durch den anderen veranlasst ...”, dh nicht: „verschuldet” (!) wurde! Die Tatbestandsvoraussetzungen der Irrtumsanfechtung – das gilt für den wesentlichen wie den unwesentlichen Irrtum – setzten demnach prinzipiell kein Verschulden – auch nicht leichte Fahrlässigkeit – voraus, sondern begnügen sich mit einem objektiven Verursachungsnachweis. Eine (Verständnis)Grenze zieht aber die Vertrauenstheorie → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Zum ersten Fall des § 871
SZ 28/103 (1955) Hotelverkauf: Die Verkäufer verschweigen den Käufern, die große Umbaupläne für das Hotel haben, dass das Gebäude nicht in sog Massivbauweise, sondern nur in sog Holzriegelbaukonstruktion errichtet wurde. OGH: Veranlassen iSd § 871 ABGB setzt weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung voraus. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Kontrahent nach der Verkehrsauffassung mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser den Geschäftsinhalt betreffender Umstände rechnen, solange ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird, begründet schon das Unterlassen dieser Mitteilung ein Veranlassen des Irrtums.
JBl 1971, 258 (Verkauf eines Kraftfahrzeugs Marke R.): Verkäufer behauptet wahrheitswidrig, das Fahrzeug sei unfallfrei (sog Havariefreiheit) und weise einen bestimmten Kilometerstand auf, was ebenfalls unrichtig war.
Zur sog Anspruchskonkurrenz und Anspruchskumulierung im Rahmen der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung (zB zum gleichzeitigen Geltendmachen eines Willensmangels und/oder einer Leistungsstörung) → KAPITEL 7: Die Leistungsstörungen.
,,offenbar auffallen musste” – dh dass ,,der andere“ (= der Geschäftspartner des Irrenden) den Irrtum (des andern) hätte erkennen können / müssen.
Zum zweiten Fall des § 871
Rechtssprechungsbeispiel
Es muss dem Verkäufer auffallen, wenn der Käufer das Bild / Schmuckstück aufgrund des hohen Preises für echt hält. – Oder: JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur) → Erklärungs- und Geschäftsirrtum
SZ 51/144 (Insektizidkauf) → Der Kalkulationsirrtum
§ 871, Fall 3 ABGB – ,, ... rechtzeitig aufgeklärt wurde”; sog „res integra”-Aufklärung. – Kurz: Der andere Vertragsteil darf (seit Vertragsschluss bis zur Anfechtung) noch keine wesentlichen rechtlichen oder wirtschaftlichen Dispositionen (über den Vertragsgegenstand) getroffen haben; zB kein Bauansuchen gestellt haben oder eine Weiterveräußerung des Kaufgegenstands oder Investitionen getätigt haben.
Zum dritten Fall des § 871
Im 3. Fall des § 871 ABGB steckt eine objektive vertrauenstheoretische Verkehrsschutzüberlegung. Das Recht des Irrenden, seinen Irrtum geltend zu machen, reicht nur bis zu einem gewissen Punkt, nämlich dorthin, wo sein Geschäftspartner irreversible Dispositionen getroffen hat, nicht weiter. Der zB durch eine getroffene Investition geschaffene rechtliche oder wirtschaftliche Wert soll nicht gefährdet werden.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/288 (1951): „Rechtzeitig aufgeklärt” ist der Irrtum nur, wenn der Gegner noch nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat; insbesondere, wenn der Gegner (des Irrenden) anlässlich eines abgeschlossenen Vertrags noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen und auch nicht die Gelegenheit zu einer solchen Verfügung infolge des geschlossenen Vertrags versäumt hat; SZ 26/129 (1953).
SZ 14/40 (1932): Eine infolge Irrtums des Gläubigers unrichtig ausgestellte Quittung hindert nicht das Geltendmachen des Forderungsrechts, wenn der Irrtum aufgeklärt wurde, bevor der Schuldner im Vertrauen auf die Erklärung gehandelt und sich eingerichtet hat.
Als nicht mehr rechtzeitig aufgeklärt wurde folgender Fall angesehen (JBl 1963, 439): Irrtum über die Höhe einer dem Dienstnehmer zustehenden Abfertigung. – Der Direktor einer Raiffeisenkasse wurde gekündigt und die Kasse zahlte ihm irrtümlich 12 statt der ihm zustehenden 9 Monatsgehälter als Abfertigung. Der Geltendmachung dieses Irrtums im darauf von der Raiffeisenkasse geführten Prozess wurde als verspätet angesehen.
SZ 42/121 (1969): Rechtzeitiges Aufklären eines bei einer Abfindungserklärung nach einem Verkehrsunfall unterlaufenen Irrtums.
Beachte


Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB
Abbildung 5.37:
Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB


Gemeinsamer Irrtum
Abbildung 5.38:
Gemeinsamer Irrtum
Dieser Absatz wurde erst 1979 durch das KSchG ins ABGB eingefügt; vgl auch § 873 Satz 2 ABGB. Diese Neuregelung sollte der Pfuscherbekämpfung dienen; Nichtaufklärung über die fehlende Gewerbeberechtigung gilt stets als „Irrtum über den Inhalt des Vertrages und nicht bloß als solcher über den Beweggrund oder den Endzweck (§ 901)”. – In der Praxis findet diese Bestimmung kaum Anwendung.
871 Abs 2 ABGB
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2. Unwesentlicher Irrtum; § 872 ABGB
Zur Unterscheidung: „wesentlicher – unwesentlicher” → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB Die Rechtsfolge des § 872 ABGB liegt – wie erwähnt – in einer Vertragsanpassung / Vertragskorrektur; das Gesetz spricht von „angemessener Vergütung”, weil eine solche Anpassung häufig zu einer Preisreduktion führt. – Der Vertrag bleibt bestehen, wird aber kraft richterlicher Gestaltung inhaltlich modifiziert.
Vgl die Beispiele beim wesentlichen Irrtum → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Beachte


Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB
Abbildung 5.39:
Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB
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3. Irrtum in der Person
§ 873 ABGB stellt klar, dass die „Grundsätze” des wesentlichen und unwesentlichen Irrtums auch für den „Irrtum in der Person desjenigen [gelten], welchem ein Versprechen gemacht worden ist”. Gemeint ist damit:
• ein Irrtum über die Person (iSd Identität des Geschäftspartners), oder
• über eine wesentliche (dh insbesondere eine geschäftsrelevante) Eigenschaft dieser Person.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1956/269: Irrtum über die Person des Geschäftspartners bei einem Holzgeschäft;
GlUNF 1911 (1902): Irrtum über bestehende Vorstrafen;
EvBl 1951/109: Nachträglich hervorgekommene Vertrauensunwürdigkeit eines Vertragsteils berechtigt zur Anfechtung. Besonders wichtig ist das bei Kreditgeschäften (Kreditwürdigkeit) oder bei Dienst- oder Pachtverträgen, wo auch der Irrtum über das Vorliegen von Fähigkeiten – zB eines Pächters oder Arbeitnehmers – zur Anfechtung berechtigen kann.
Eine Sonderregelung betreffend den Irrtum über die Eigenschaften einer Person findet sich in § 37 EheG; vgl JBl 2003, 50 = EvBl 2002/133: Geisteskrankheit der Ehefrau.
§ 37 EheG
§ 873 Satz 2 ABGB wurde – ebenso wie § 871 Abs 2 ABGB – erst 1979 (BGBl 140) durch das KSchG ins ABGB eingefügt und richtet sich gegen gewerberechtliche Pfuscher: Der „Irrtum über das Vorhandensein einer erforderlichen verwaltungsrechtlichen Befugnis zur Erbringung der Leistung” ist ein Irrtum in der Person. – Üblicherweise besteht darüber aber keine Unklarheit.
§ 873 Satz 2 ABGB
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4. § 875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten
Veranlasst ein Dritter den Irrtum eines der Vertragspartner berechtigt das grundsätzlich nicht zur Irrtumsanfechtung. Der Vertrag bleibt vielmehr gültig. – „Nur in dem Falle, dass der andere [Vertrags]Teil an der Handlung des Dritten teilnahm oder von derselben offenbar wissen musste, kommen die §§ 870-874 ABGB zur Anwendung.”
Zu beachten ist die Sphärenzurechnung, die der gesetzlichen Lösung zugrunde liegt: Sphäre des einen + des andern Vertragspartners + Sphäre des Dritten als neutrale Sphäre. Allenfalls wird der Dritte der Sphäre des nicht irrenden Vertragspartners zugerechnet.
Sphärenzurechnung
Mit der „Dritte” ist an Außenstehende gedacht, die nicht wie Bevollmächtigte, überhaupt als direkte oder indirekte Stellvertreter, Vermittler, Hilfsorgane bei der Vorbereitung (EvBl 1954/131) oder als Boten dem anderen Vertragsteil sphärenmäßig zuzurechnen sind; EvBl 1939/134.
Dritte
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1991, 584: Eine Person, die maßgeblich auf der Seite des Vertragspartners am Zustandekommen des Geschäfts mitgewirkt hat, ist kein Dritter iSd§ 875 ABGB. Der Verkäufer muss eine von einem mit der Vermittlung des Verkaufs einer Liegenschaft beauftragten Immobilienmakler in dieser Eigenschaft begangene Täuschung des Kaufinteressenten gegen sich gelten lassen.
Das gilt insbesondere auch für die Einschaltung „Dritter” beim Kreditkauf (SZ 33/123) oder beim Leasing: SZ 58/183 = ÖBA 1986, 356 (finanzierende Bank bedient sich des Leasinggebers als Verhandlungsgehilfen).
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5. Rechtsvergleich mit dem dtBGB
Im dtBGB ist der Irrtum ganz anders – für uns sehr fremd – gelöst als im ABGB. – Irrt jemand und will er deshalb den geschlossenen Vertrag nicht zuhalten, kann er seine (eigene) Erklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs 1 dtBGB anfechten. Dabei hat der Anfechtende seinen Irrtum zu beweisen. Anfechten kann ein Irrender aber stets, und nicht nur – wie nach ABGB – zB in den drei Fällen des § 871. Nach § 122 dtBGB ist jedoch der Anfechtende (!) grundsätzlich zu Schadenersatz verpflichtet (Ausnahme: § 122 Abs 2 dtBGB), weil sich der Fehler in seiner Sphäre ereignete. Der Schadenersatzanspruch des Kontrahenten des Irrenden richtet sich auf das negative (Vertrags)Interesse, womit der Vertrauensschaden gemeint ist. Zu ersetzen sind dem Vertragspartner (des Irrenden) also vor allem Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags gemacht hat. – Zum Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür wird bei cic gehaftet?. – Kein Schadenersatzanspruch des Vertragspartners des Irrenden besteht in den von § 122 Abs 2 dtBGB genannten Gründen; kennen oder kennen müssen des Irrtums.
§ 119 dtBGB [Anfechtbarkeit wegen Irrtums]
Abs 1: Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
Abs 2: Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
§ 122 dtBGB [Schadenersatzpflicht des Anfechtenden]
Abs 1: Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat.
Abs 2: Die Schadenersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).
Die Irrtumsanfechtung nach ABGB setzt kein Verschulden voraus und Irrtum und Schadenersatz, die zwar zusammenfallen können, aber nicht müssen, sind zwei Paar Schuhe. Außerdem wird nach ABGB nicht die eigene Erklärung angefochten, sondern die Gültigkeit des Vertrags. Die österreichische Lösung, die naturrechtlich fundiert ist und auf K. A. v. Martini zurückgeht, erscheint nicht nur einfacher, sondern auch klarer und überzeugender an Gerechtigkeits- und Praktikabilitätserwägungen orientiert. Sie empfiehlt sich daher für ein europäisches Privatrecht.


Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
Abbildung 5.40:
Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
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III. Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
Wir unterscheiden im Bereich des Irrtums ferner zwischen Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum. – Während der Erklärungs- und der Geschäftsirrtum – praktisch vor allem im zentralen Bereich der entgeltlichen Geschäfte – anfechtbar sind, trifft das auf den Motivirrtum nicht zu. Von Bedeutung ist daher die Grenzziehung zwischen Erklärungs- und Geschäftsirrtum auf der einen und dem Motivirrtum auf der anderen Seite.
Die Rspr (SZ 42/155 [1969]) hat dafür folgende Merkregeln entwickelt:
Merkregeln
• Beim Geschäftsirrtum bezieht sich die unrichtige Vorstellung des/der Irrenden auf Punkte, die innerhalb des Geschäfts liegen,
• beim Motivirrtum auf solche außerhalb des Geschäfts.
1. Erklärungs- und Geschäftsirrtum
Erklärungsirrtum liegt zB vor, wenn sich der / die Erklärende verspricht oder verschreibt – jedenfalls etwas anderes erklärt, als eigentlich gewollt ist. – Geschäftsirrtum liegt vor, wenn über den Gegenstand, also über das abzuschließende Geschäft oder auch über den Geschäftspartner geirrt wird; jemand nimmt etwa Schenkung oder Leihe statt Darlehen an oder Verlobung statt Ehe; § 36 Abs 1 EheG. Hierher gehört auch der Irrtum über die Eigenschaften einer Person; § 37 EheG → KAPITEL 16: Die Auflösung der Ehe.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur): Berechnet ein Vertragspartner dem anderen für eine Reparatur einen günstigen Sonderpreis in der irrigen Annahme, dass der andere das reparierte Gerät bei ihm gekauft habe, so liegt Geschäftsirrtum vor, der unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (der §§ 871, 872 ABGB) zur Anfechtung berechtigt.
SZ 47/148 (1974, Kauf einer Eigentumswohnung in Badgastein – Geschäftsirrtum): Die Beklagte will von der Klägerin eine Eigentumswohnung kaufen und entschließt sich deshalb zum Kauf, weil in den Plänen (der Wohnanlage) eine Badeanlage vorgesehen ist. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Kaufanbots (!) erklärt ihr ein Angestellter des WE-Organisator, dass die Bäder nicht gebaut werden. Es wird idF von Grünanlagen gesprochen und die Beklagte ist der Meinung, dass nunmehr im Innenhof der Anlage statt der ursprünglich geplanten Autoabstellplätze eine Grünanlage vorgesehen sei, was aber nicht zutrifft. Erst viel später (bei der Baustellenbesichtigung) erfährt die Klägerin, dass im Anlagenhof Autoabstellplätze errichtet werden. – Der WE-Organisator klagt idF den Kaufpreis ein, wogegen die Beklagte (erfolgreich) Irrtum einwendet. – OGH: Dass ein Irrtum der [Beklagten] über die Verwendung der unmittelbar vor ihrer ebenerdigen Wohnung gelegenen Fläche als Abstellplatz für etwa 12 Pkws als Geschäftsirrtum über wesentliche Umstände anzusehen wäre, ist entgegen der Meinung des Erstrichters nicht zu bezweifeln. Wenn auch die Lage einer Wohnung zur Umwelt nicht in jedem Fall und nicht hinsichtlich jedes Details ein wesentlicher Inhalt des Geschäftes ist, sondern im Einzelfall bloßes Motiv zum Kauf darstellen oder unwesentliche Nebenumstände betreffen kann, so liegt doch offenkundig eine ungewöhnliche Belästigung des Eigentümer einer Wohnung in einem Neubau eines Kurortes vor, wenn unmittelbar vor seinem zu einem Innenhof gelegenen Balkon fast in gleicher Höhe eine größere Anzahl von Autos abgestellt wird. Ein solcher Umstand verändert die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst ... und stellt nach objektiver Verkehrsanschauung ... eine wesentliche Abweichung vom Normalfall dar. Anders wäre es bloß, wenn schon der Kaufpreis auf diesen Nachteil abgestellt worden wäre.
Vgl auch ecolex 1998, 197: Wertirrtum beim Teppichkauf. – Beruht der Wertirrtum eines Käufers auf Umständen, die im redlichen Geschäftsverkehr eine Aufklärung durch den Verkäufer erwarten lassen, liegt nicht bloß Motiv-, sondern Geschäftsirrtum vor.
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2. Der Motivirrtum
Beim Motivirrtum handelt es sich um einen Irrtum im Beweggrund, eben im Motiv eines Vertragsschließenden; zB „warum” er eine bestimmte Sache kauft oder verkauft; vgl → Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum Kauft jemand Blumen in der Meinung, X habe heute Geburtstag und ist das falsch, kann er die Blumen nicht wieder zurückgeben, denn ein Motivirrtum ist grundsätzlich unbeachtlich; dh wegen eines Motivirrtums können Verkehrsgeschäfte – also entgeltliche Verträge – nicht angefochten werden. Und zwar weder nach § 871, noch nach § 872 ABGB.
Zur Relevanz der Arglist auch beim Motivirrtum vgl gleich unten: EvBl 1975/205: Dienstvertrag.
Will man ein bloßes Motiv aber zum Geschäftsinhalt (und damit den Irrtum anfechtbar) machen, muss das Motiv ausdrücklich zur Bedingung erhoben werden; vgl § 901 ABGB: Gesetz lesen! Relevant ist der Motivirrtum aber auch im Bereich letztwilliger (Erbrecht) und unentgeltlicher Geschäfte, also vor allem bei Schenkungen, aber auch der Leihe; vgl § 901 Satz 3 ABGB. Nicht aber – wie erwähnt – im Bereich entgeltlicher Verkehrsgeschäfte. Eine unbedingt abgegebene Erbserklärung (→ KAPITEL 17: Die unbedingte Erbserklärung) kann aber nicht wegen Motivirrtums angefochten werden; EvBl 1969/424.
„Motiv“ kann zum Geschäftsinhalt erhoben werden
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 23/272 (1950): Warenlager: unabsetzbare Nachkriegsware. Motivirrtum ist der Irrtum (zB des Käufers) über die Absatzfähigkeit und den gemeinen Wert von Waren. Anfechtung wegen listiger Irreführung wäre jedoch möglich.
SZ 48/9 (1975): Beispiel für die Beachtlichkeit eines Motivirrtums bei unentgeltlichen Geschäften (Schenkung!) – Frau schenkte ihrem Gatten die Hälfte eines Grundstücks, weil sie voraussetzte, dass die Ehe aufrecht bleiben würde und weil sie hoffte, ebenfalls Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft ihres Mannes zu werden. Die Ehe wird jedoch idF geschieden. – Aus den Entscheidungsgründen des OGH: Nach dem vorliegenden Sachverhalt sind die Streitteile bei Übereignung des Liegenschaftsanteils übereinstimmend davon ausgegangen, dass ihre Ehe Bestand haben werde ... Durch die rechtskräftige Scheidung der Ehe ist diese von beiden Parteien bei Abschluss des Schenkungsvertrags zugrunde gelegte Voraussetzung weggefallen. (Vgl dazu auch → Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage: Wegfall der Geschäftsgrundlage) ... Der ohne Verschulden oder aus gleichteiligem Verschulden geschiedene Ehegatte hat Anspruch auf Rückstellung dessen, was er in die Ehe einbrachte. – Machte der andere (als der anfechtende) Gatte auf eine rückzustellende Liegenschaft Aufwendungen, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen zu, der durch Zurück(be)haltung (→ KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB) der herauszugebenden Liegenschaft gesichert werden kann.
§ 901 ABGB stellt klar, dass der Beweggrund bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlich ist (Satz 2), wenn er nicht ausdrücklich zur Bedingung erhoben wurde (Satz 1). Die hA versteht dieses „ausdrücklich” aber nicht so, dass dadurch einer schlüssigen / konkludenten oder stillschweigenden Erhebung einer Bedingung zum Motiv der Boden entzogen wäre. – Vgl in diesem Sinne neben der eben erwähnten E SZ 48/9 auch etwa HS 6450/35 (1968), wo bei einem Kaufvertrag über einen Lkw, die Möglichkeit einer Kreditfinanzierung – zu recht – als stillschweigend vereinbarte Bedingung angesehen wurde.
SZ 39/206 (1966): Unbeachtlicher Motivirrtum, wenn ein Kunstliebhaber das Bild eines unbekannten Künstlers („Argo 1945”) gegen einen Brillantring eintauscht und sich die Hoffnungen des Bilderwerbers, der Wert des Bildes würde steigen, zerschlagen.
EvBl 1975/205: Der Motivirrtum ist bei entgeltlichen Geschäften (wie einem Dienstvertrag) unbeachtlich; ausgenommen ist Arglist und ausdrückliches Vereinbaren des Beweggrundes / Motivs als Bedingung.
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IV. Der Kalkulationsirrtum
1. Gschnitzers Lösung
,,Unter Kalkulationsirrtum wird Verschiedenes verstanden und danach ist auch die Beurteilung verschieden. Man kann daher ebenso wenig allgemein sagen, der Kalkulationsirrtum sei wesentlich, wie, er sei bloßer Motivirrtum. – Ein [beachtlicher ] Geschäftsirrtum liegt vor, wenn ein Teil sich im Preis verschreibt, verspricht, einen Rechenfehler oder dgl begeht oder bspw den Vierteljahreszins entgegen der Ortsüblichkeit und Angemessenheit für einen Jahreszins hält. Die Anfechtung ist in solchen Fällen natürlich ... an die weiteren Voraussetzungen der §§ 871 ff ABGB geknüpft, insbesondere [aber] dann zulässig, wenn der Irrtum dem Gegner offenbar auffallen musste. – Nicht zum Geschäfts- sondern zum (bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlichen) Motivirrtum gehört aber jener Kalkulationsirrtum, bei dem der Verkäufer oder Unternehmer die Kosten der Erzeugung, Beschaffung, der ihm obliegenden Versendung usw zu niedrig berechnet, also im eigentlichen Sinne falsch kalkuliert”; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127 mwH.
Vgl auch die folgenden Beispiele. – Der Kalkulationsirrtum kann also wesentlich oder unwesentlich sein, ebenso bloßer Motivirrtum.
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2. Rspr-Beispiele zum Kalkulationsirrtum
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 51/144 (1978) Kauf von 25 Tonnen eines Insektizides: Ein Irrtum bei der Preiskalkulation im Ausmaß von drei Dezimalstellen muss dem Großeinkäufer einer Ware selbst dann auffallen, wenn er sonst nicht damit handelt: Kilopreis von 1,90 S statt richtig 265,– S. – OGH nimmt ohne weitere Erörterung (wesentlichen) Geschäftsirrtum an. – Hier wurde also nicht wirtschaftlich falsch kalkuliert, sondern es liegt ein Rechen- und/oder Schreibfehler vor.
EvBl 1983/100: Tischlermeister kalkuliert (wirtschaftlich) falsch – „Kalkulationsirrtum ieS” eines Gewerbetreibenden; Bedeutung der nach einem Leistungsverzeichnis aufgeschlüsselten Preisansätze; Kläger = (ausschreibender) Hotelier; Beklagter = Tischlermeister, der inhaltlich / fachlich falsch kalkuliert.
WBl 1987, 62: Gemeinde schreibt öffentlich Kanalbauarbeiten aus – Firma irrt über von ihr zu erbringende Leistungen. – OGH: ,,Der sog Kalkulationsirrtum betrifft idR nicht die rechtsgeschäftliche Erklärung selbst, sondern nur Umstände, die dieser vorangegangen sind und damit nur den Beweggrund. Wenn jedoch die Kalkulation zum Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht wurde und der geforderte Preis erkennbar als ein auf dieser Kalkulation beruhender bezeichnet worden ist, liegt ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung vor. Ein Motivirrtum ist hingegen anzunehmen, wenn ein Vertragsteil die Höhe der von ihm zu tragenden Kosten oder der von ihm zu tätigenden Aufwendungen falsch einschätzt (EvBl 1983/100 [Tischler]; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127). Im vorliegenden Fall wurden die Kalkulationsgrundlagen in der Ausschreibung eindeutig dargelegt. Nach der Ausschreibung war klar, dass die Fertigteilschächte aus Stahlbetonringen mit zugfester Schraubverbindung und eingelegtem Rollring auszuführen sind. Die Beklagte hat bei Erstellung des Anbots nicht etwa die Kosten für die Erbringung derartiger Leistungen falsch eingeschätzt, sondern hat ein Anbot erstellt, das in diesem Punkt von der Ausschreibung abwich. Dem Anbot lag demnach nicht ein bloß unbeachtlicher Kalkulationsirrtum, sondern ein [beachtlicher und wesentlicher] Geschäftsirrtum zugrunde. Ein solcher Irrtum berechtigt aber grundsätzlich zu einer Anfechtung nach § 871 ABGB.”
SZ 70/133: Beidseitiger Kalkulationsirrtum, wobei der Irrtum für einen Vertragsteil bei enstsprechender Sorgfalt erkennbar gewesen wäre; vgl die berechtigte Kritik Kramers, in: AcP 200 (2000) 395. – Unsere Rspr sollte „stolz” auf unsere fortschrittlichen naturrechtlichen Irrtumsregeln sein und nicht unnötig deutsches Recht übernehmen.
Literaturquelle


Kalkulationsirrtum (1)
Abbildung 5.41:
Kalkulationsirrtum (1)


Kalkulationsirrtum (2)
Abbildung 5.42:
Kalkulationsirrtum (2)
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V. Tatsachen- und Rechtsirrtum
Ein weiteres Irrtums(begriffs)paar ist der Tatsachen- und Rechtsirrtum: das ist der Irrtum über angenommene Fakten oder tatsächliche Verhältnisse oder über die bestehende Rechtslage oder die Rechtsfolgen; vgl § 326 Satz 3 ABGB:
„ ... Aus Irrtum in Tatsachen oder aus Unwissenheit der gesetzlichen Vorschriften kann man ein unrechtmäßiger (§ 316) und doch ein redlicher Besitzer sein.”
Beide Irrtumsarten folgen den Regeln der §§ 871, 872 ABGB, können also sowohl wesentlich wie unwesentlich sein. Tatsachen- oder Rechtsirrtum können aber auch bloß unbeachtlicher Motivirrtum sein, ebenso wie beachtlicher Geschäfts- oder Erklärungsirrtum. – Rechtlich relevant können demnach (in den vom ABGB anerkannten Fällen) beide Irrtumsarten sein.
§ 2 ABGB beruht zwar scheinbar auf dem Grundgedanken des error iuris nocet (also darauf, dass ein Rechtsirrtum dem Irrenden stets schadet), doch modifiziert das ABGB diesen Grundsatz sowohl in § 326 (wonach der über Tatsachen oder gesetzliche Vorschriften Irrende dennoch ein redlicher Besitzer sein kann), als auch § 1431 (Anspruchsvoraussetzungen bei Zahlung einer Nichtschuld / condictio indebiti → Leistungskondiktionen – Überblick) ins Gegenteil und stellt den Rechts-, dem (immer beachtlichen) Tatsachenirrtum gleich! – Diese Einteilung überschneidet sich also mit anderen Irrtumsarten.
§ 2 ABGB
Bloße Rechtsunkenntnis stellt aber noch keinen Rechtsirrtum dar. Es gilt vielmehr § 2 ABGB: „Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm dasselbe nicht bekannt geworden ist.” – Die Rspr zieht daraus aber nicht immer zutreffende Schlüsse; so in MietSlg 38.069 (1986): Beispiele.
Rechtsunkenntnis ist noch kein Rechtsirrtum
Mayer-Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut (1969).
Rechtssprechungsbeispiel
Irrtum über die Echtheit eines gekauften Bildes oder einer Briefmarke (= Tatsachenirrtum); ZBl 1916 Nr 3 und GlUNF 388 (1898).
EvBl 1969/423: Gutgläubiger Pkw-Käufer gibt (von der Polizei dazu aufgefordert) gestohlenes Auto zurück, weil er (wie diese) § 367 ABGB nicht kennt. Beachtlicher Rechtsirrtum!
MietSlg 38.069 (1986): Als unerheblichen Rechtsfolgenirrtum betrachtet die Rspr den Irrtum der Parteien beim Abschluss eines Bestandvertrags darüber, ob der Bestandgegenstand den Bestimmungen der Mieterschutzgesetzgebung unterliegt (?); vgl schon EvBl 1960/222.
Das Strafrecht regelt in § 9 StGB den Rechtsirrtum:
Auch das Strafrecht kennt den Rechtsirrtum
(1) Wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht erkennt, handelt nicht schuldhaft, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist.
(2) Der Rechtsirrtum ist dann vorzuwerfen, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre.
(3) Ist der Irrtum vorzuwerfen, so ist, wenn der Täter vorsätzlich handelt, die für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden, wenn er fahrlässig handelt, die für die fahrlässige Tat.
Beachte: Im Strafrecht spielt vornehmlich der verschuldete / vorwerfbare Rechtsirrtum eine Rolle; vgl leg cit. – Im Zivilrecht dagegen ist Verschulden grundsätzlich keine Tatbestandsvoraussetzung, wenngleich auch hier Verschulden dazutreten kann.
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VI. Rechtsfolgen von Willensmängeln: Anfechtung, Nichtigkeit und Rückabwicklung
1. Was heißt Anfechtung?
Wir haben von den Willensmängeln allgemein, insbesondere dem Irrtum gehört und mehrfach vernommen, dass ein etwa bei einem Vertragsschluss unterlaufener Irrtum (unter gewissen Voraussetzungen) geltend gemacht werden kann, genauer: zur Anfechtung berechtigt. – Aber was ist damit gemeint? Werfen wir einen Blick ins Gesetz:
• § 871 ABGB trifft die Rechtsfolge: „So entsteht... für ihn [gemeint ist der Irrende] keine Verbindlichkei t” und
§ 871 ABGB
• § 870 ABGB formuliert ähnlich: Ein Bedrohter oder Getäuschter ist den Vertrag „zu halten nicht verbunden”. – Anders freilich § 872 ABGB, der – wie wir gehört haben – nur ein Recht auf Vertragsanpassung / -korrektur gewährt und nicht ein Recht darauf, den ganzen Vertrag aus den Angeln zu heben.
§ 870 ABGB
• § 877 ABGB schließlich, der die sog Rückabwicklung bei Willensmängeln regelt, ordnet an, dass derjenige, der „die Aufhebung eines Vertrages aus mangelnder Einwilligung verlangt” (= Anfechtung iwS) selbst „auch alles zurückstellen [muss], was er aus einem solchen Vertrage zu seinem Vorteil erhalten hat.” – Denn niemand soll aus dem fehlgeschlagenen Leistungsaustausch Vorteile ziehen, also bereichert werden → Ungerechtfertigte Bereicherung
§ 877 ABGB
Der Anfechtung unterliegen Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen (→ Einteilung und Abgrenzung), nicht aber zB Prozesshandlungen (SZ 23/237 [1950]) oder bloße Beweisurkunden wie eine Rechnung oder eine Quittung; EvBl 1966/300.
Was kann angefochten werden?
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2. „Wer” kann anfechten?
Anfechten kann (nach österreichischem Privatrecht) immer nur der Vertragsteil, dem der Willensmangel unterlaufen ist; also zB der Irrende oder Getäuschte, nicht aber ein Dritter: GH 1878, 329. – Anfechten kann aber auch der (Gesamt)Rechtsnachfolger des Irrenden, zB ein Zessionar (SZ 41/33 [1968]), zumal dadurch die gesamte Rechtsstellung oder doch die Berechtigungsposition übergeht.
Wie steht es um die Anfechtung von unterlaufenen Willensmängeln bei der Stellvertretung? – Um bspw einen Irrtum geltend zu machen genügt es, dass entweder der Vertretene oder der Stellvertreter geirrt hat. Geltend zu machen ist der Irrtum aber stets durch den Vertretenen, der ja letztlich hinter dem Geschäft steht.
Gschnitzer (AT2 776) hat folgende Grundregel aufgestellt:
Gschnitzers Grundregel
„Nach dem Einfluß, den jeder von beiden auf den Abschluß des Geschäftes genommen, ist auf beide oder auf den Vertreter oder auf den Vertretenen abzustellen. – Konkret:
a) Irrt der Vertragspartner, wurde er getäuscht oder bedroht, kann er anfechten, wenn für die Anfechtung notwendigen Umstände entweder beim Vertreter oder beim Vertretenen vorliegen. Sie bilden zusammen den andern Teil iS der §§ 870 ff.
b) Irrt der Vertreter, kann der Vertretene anfechten, außer die Umstände waren ihm schon bei Erteilung der Vollmacht bekannt.
c) Irrt der Vertreter nicht, ist Irrtum des Vertretenen belanglos.”
• Irrtum oder Täuschung verpflichten aber nicht zur Anfechtung. Die Anfechtung ist ein Recht, keine Pflicht. Man kann, muss aber nicht anfechten; kann vielmehr das Geschäft auch so bestehen lassen wie es ist, weil man zB keinen Ärger haben will.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 271/00t, EvBl 2001/78: Der Kläger vermietet an den Beklagten ein Forsthaus, benützt es aber weiter. Das Bestandobjekt war in mehrfacher Hinsicht mangelhaft. Zwischen den Parteien waren im Zusammenhang mit dem Bestandverhältnis zahlreiche Prozesse anhängig, welche durch einen Generalvergleich beigelegt werden sollten. Dabei ist eine Partei durch einen Sachwalter vertreten. Diese ficht den Vergleich später wegen Irrtums mit dem Argument an sie habe auf Grund extremen psychischen Stresses den Vergleich nicht richtig verstanden. – OGH zur Irrtumsanfechtung bei Geschäften, bei denen ein Stellvertreter tätig wird: Grundsätzlich ist ein Irrtum des Vertretenen nicht kausal; es sei denn dieser Irrtum hätte sich in einer Weisung an den Stellvertreter ausgewirkt. – Für die Fälle der gesetzlichen oder richterlichen Vertretung gilt demnach anderes, als im Normalfall.
Bisher nicht judiziert erscheint die Frage des Irrtums beim Falsus. Ist es doch denkbar, dass ein Vertreter über Art und Umfang seiner Vertragsschlussvollmacht irrt und erst dadurch zum Falsus wird. – Ist dieser Irrtum entschuldbar, bestehen jedenfalls keine Schadenersatzansprüche; weder aus Vertrag, noch aus Delikt. Andernfalls gelangen die allgemeinen Regeln für den Falsus zur Anwendung.
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3. Gegen „wen” richtet sich die Anfechtung?
Grundsätzlich gegen den „anderen Teil”, den Vertragspartner, also zB denjenigen, der getäuscht oder in Irrtum geführt hat. – Vgl jedoch § 875 ABGB, der die Bedeutung der Einwirkung „Dritter” auf den Vertragsschluss behandelt.
§ 875 ABGB unterscheidet nach Sphären. Gehörte der „Dritte” zur Sphäre des Vertragspartners, kann angefochten werden, sonst nicht → § 875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten
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4. „Wie” ist anzufechten?
Wirksame Anfechtung erfolgt durch gerichtliche Klage oder – falls der Irrende zB schon auf Zahlung geklagt wurde – durch Einrede (= prozessuales Geltendmachen eines Gegenrechts) im Prozess. Der Irrende, bspw auf Leistung geklagt, muss den unterlaufenen Irrtum mittels Einrede einwenden, weil das Gericht den Irrtum nicht von Amtswegen berücksichtigt; EvBl 1958/160 oder SZ 46/84 (1973).
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/7 (1981): Auch ein (bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften unter Lebenden beachtlicher) Motivirrtum darf mangels Anfechtung nicht von Amts wegen aufgegriffen werden.
SZ 46/84 (1973): Anfechtung eines Gebrauchtwagenkaufs wegen Irrtums über die Verkehrstüchtigkeit des gekauften Fahrzeugs – Die Anfechtung eines Vertrags wegen arglistiger Irreführung schließt die Irrtumsanfechtung ein.
§ 933 ABGB Es erfolgt durch den Irrenden wie das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen (§ 933 ABGB) und der Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) durch Klage oder Einrede im Prozess!
Geltendmachen des Irrtums
Der Rücktritt (des Gläubigers) vom Vertrag (bei Schuldnerverzug) kann dagegen auch außergerichtlich gültig erklärt / geltend gemacht werden; und zwar so lange, als Schuldnerverzug besteht, während das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen zeitlich befristet ist. – Zur Verjährung des Anspruchs auf Irrtumsanfechtung → Verjährung
Möglich ist auch ein kumuliertes Geltendmachen – sog Anspruchskumulierung – von Willensmängeln; also zB gleichzeitig wegen Irrtums, List und mangelnder (Willens)Freiheit (Alkohol!) oder Ernstlichkeit.
Anspruchskumulierung
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5. Form der Anfechtung?
Gesetz und Rspr verlangen für die Anfechtung keine besondere Form.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1982, 36 (Kauf von Baugrund in einem Naturschutzgebiet): Die Anfechtung eines Vertrags hat gerichtlich zu erfolgen. Eine förmliche Anfechtungserklärung ist aber nicht notwendig. Es genügt, wenn aus dem Parteivorbringen des Anfechtenden hervorgeht, dass er den Vertrag nicht oder – bei Vertragsanpassung – nur mit einer Korrektur gelten lassen will.
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6. Beweislast
Die Beweislast für das Vorliegen eines Willensmangels trifft grundsätzlich den Irrenden oder Getäuschten. – Mehr zur Beweislast → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung. – Vgl aber → Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie: JBl 1987, 521 Fernlehrvertrag!
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7. „Wie wirkt” die Vertragsanfechtung?
Ist die gerichtliche Anfechtung erfolgreich, führt dies zur „Aufhebung” (§ 877 ABGB) des Vertrags, dh des Titelgeschäfts!
Aufhebung des Vertrags
Da ein gültiger Eigentumserwerb nach der Lehre von Titel und Modus (→ KAPITEL 2: Die Lehre von Titel und Modus) sowohl einen gültigen Titel, als auch einen gültigen Modus voraussetzt, wird bei erfolgreicher Anfechtung (= Vernichtung des Titelgeschäfts!) der Veräußerer wieder Eigentümer; und zwar ohne weiteres eigenes oder fremdes Zutun: sog dingliche Rückwirkung. Dies im Gegensatz zur schuldrechtlichen / obligatorischen Rückwirkung (zB beim Rücktritt nach § 918 ABGB oder bei der Wandlung nach § 932 ABGB), wo bereits übertragenes Eigentum erneut rückübertragen werden muss, also keine vergleichbare „Automatik” besteht → KAPITEL 7: Wirkungen der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts: Gewährleistung. Aber auch eine erfolgreiche Wandlung oder ein wirksam erklärter Rücktritt vom Vertrag nach § 918 ABGB beseitigen das Titelgeschäft; die Rückwirkung hinsichtlich bereits geänderter dinglicher Rechtspositionen (zB Eigentumsübertragung) ist aber – wie erwähnt – eine andere, umständlichere.
Dingliche oder obligatorische Rückwirkung?
Dh sie wirkt zurück auf den Vertragsschluss und lässt vom abgeschlossenen Geschäft / Vertrag nichts bestehen. – Zu unterscheiden davon ist die sog ex nunc-Wirkung: Hier bleibt das Geschäft bis zu einem gewissen Zeitpunkt – der zB durch Kündigung bestimmt wird – aufrecht und erst ab diesem Zeitpunkt, also für die Zukunft, zeitigt es keine Wirkungen mehr.
Anfechtung wirkt ex tunc
Die normale (ex tunc wirkende) Anfechtung wegen unterlaufener Willensmängel wandelt sich bei Dauerschuldverhältnissen ( → KAPITEL 6: Ziel- und Dauerschuldverhältnisse) in eine Kündigung mit ex nunc-Wirkung.
Anders bei Dauerschuldverhältnissen
Beispiel
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8. Wie wirkt Nichtigkeit?
Anders als die Anfechtung, die (von der anfechtenden Partei) immer gerichtlich geltend gemacht werden muss um Rechtswirkungen auszulösen, bedeutet das Vorliegen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts seine vollkommene Rechtsunwirksamkeit / Unverbindlichkeit und zwar von Anfang an; zur Restwirkung (zB Auskunftspflicht) nichtiger Verträge vgl idF SZ 24/304. Der Vertrag kommt also von vornherein nicht, auch nicht scheinbar, gültig zustande. Es liegt gar kein gültiges Rechtsgeschäft vor. Es bedarf daher auch keiner gerichtlichen Geltendmachung, um die Ungültigkeit des Geschäfts zu bewirken. – Eine gerichtliche Feststellung ist aber uU doch nötig, wenn der Geschäftspartner die Nichtigkeit bestreitet. Etwa bei mangelnder Geschäftsfähigkeit → KAPITEL 4: Die Handlungsfähigkeit .
Rechtssprechungsbeispiel
Auch ein nichtiger Vertrag begründet aber zwischen den Parteien gewisse Verbindlichkeiten, wie die Pflicht zur Auskunftserteilung; SZ 24/304 (1951).
Wir unterscheiden die absolute (dh eine für alle Personen bestehende) von der relativen Nichtigkeit; hier kann sich nur eine bestimmte (Vertrags)Partei auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts berufen. Das ist sinnvoll, wenn das Gesetz nur den Schutz eines Vertragsteils bezweckt. Relative Nichtigkeit muss – wie die Anfechtung – (gerichtlich) geltend gemacht werden. Beruft sich aber der benachteiligte Vertragspartner nicht auf die für ihn bestehende relative Nichtigkeit / Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, wird das Rechtsgeschäft als wirksam betrachtet, da auch relative Nichtigkeit (wie die Anfechtbarkeit) im Verfahren nicht von Amts wegen beachtet wird.
Absolute und relative Nichtigkeit
Absolut nichtige Geschäfte verstoßen gegen fundamentale Interessen der Rechtsordnung. Es kann sich daher nicht nur jedermann auf ihre Nichtigkeit berufen, sondern diese Nichtigkeit kann auch ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden. Für diese Form der Nichtigkeit gelten demnach auch keine Verjährungsgrenzen ! Das wird immer wieder verkannt. – Rückforderungsansprüche aus solchen Verträgen, die auf Kondiktionsrecht beruhen, verjähren aber in 30 Jahren → Verschulden? – Verjährung
Starke Wirkung absoluter Nichtigkeit
Beispiele relativer Nichtigkeit:
• Allgemeine Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB;
• § 879 Abs 2 Z 4 ABGB: Wucher; vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1 207 f;
• § 879 Abs 3 ABGB: gröbliche Benachteiligung durch AGB;
• § 24 WEG 1975 = § 38 WEG 2002: Rechtsunwirksame Vorbehalte oder Vereinbarungen zwischen WE-Werber / Wohnungseigentümer und WE-Organisator; so OGH 1 Ob 784/79.
Neben der Voll- oder Total-Nichtigkeit kennen wir auch die Teil-Nichtigkeit / Restgültigkeit, bei der nicht das Ganze, sondern nur ein Teil des Rechtsgeschäfts ungültig ist. – Das spielt bei AGB eine praktische Rolle: Die gesetz- oder sittenwidrige Klausel wird als nichtig aus dem Vertrag herausgenommen, der Rest des Vertrags bleibt bestehen.
Teil-Nichtigkeit
Vgl § 6 Abs 1 KSchG: „… sind besonders solche Vertragsbestimmungen … nicht verbindlich, …”
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/170 (1951): Sind in einem Vertrag verbotene und erlaubte Leistungen vereinbart, so ist bei Absonderungsmöglichkeit der Vertrag nur hinsichtlich des Verbotenen nichtig. Der Schuldner muss dem Gläubiger die ihm durch das Entfallen der verbotenen Leistungen entstandene Bereicherung herausgeben; § 877 ABGB → Die Kondiktionstypen des ABGB und ebendort → Entscheidungsbeispiele


Rechtsfolgen bei Willensmängeln
Abbildung 5.43:
Rechtsfolgen bei Willensmängeln


Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen
Abbildung 5.44:
Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen


Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”?
Abbildung 5.45:
Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”?


Willensmängel (1)
Abbildung 5.46:
Willensmängel (1)


Willensmängel (2)
Abbildung 5.47:
Willensmängel (2)
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9. Rückstellungspflichten – Rückabwicklung
Es wurde schon erwähnt, dass § 877 ABGB eine Rückstellungspflicht Zug um Zug anordnet. Diese Rückabwicklung ist aber nicht immer einfach und betrifft grundsätzlich beide Seiten. Daher muss auch der Anfechtende uU – zB für die Benützung einer Maschine oder eines Kraftfahrzeugs – ein Benützungsentgelt für die Zwischenzeit entrichten; Rspr-Beispiele: SZ 26/195.
§ 877 ABGB
Zur Rückabwicklung kann es nicht nur in Zwei-, sondern auch in Dreipersonenverhältnissen kommen; Anweisung, Bürgschaft, Streckengeschäft etc.
Literaturquelle
§ 877 ABGB gilt für alle nichtigen Verträge; also bei fehlender Geschäftsfähigkeit ebenso, wie bei Ungültigkeit wegen Zwangs, Irrtums oder eines Dissenses sowie beim Scheingeschäft, Formmängeln oder Wucher. – Stehen beiden Vertragsteilen Rückforderungsansprüche zu, sind diese wiederum Zug um Zug zu erfüllen.
Weiter Geltungsbereich des § 877 ABGB
Der Rückstellungsanspruch des § 877 ABGB ist ein Kondiktionsanspruch (→ Die Kondiktionstypen des ABGB), dem der Empfang einer Leistung zugrunde liegt, die eines rechtlichen Grundes entbehrt; SZ 54/156 (1981). – Die Kondiktion richtet sich bei Unmöglichkeit der Rückstellung (zB infolge Verschuldens des Beklagten) auf Schadenersatz; GlU 11.890 (1887) oder GlUNF 5600 (1911). Sonst auf die Herausgabe der Bereicherung; GlUNF 3246 (1905).
Kondiktionsanspruch
Rechtssprechungsbeispiel
ZVR 1989/169: Rückabwicklung eines Pauschalreisevertrags. Hier muss sich der Kunde die Lebenshaltungskosten für sich uns seine Familie für die Zeit der Reisedauer anrechnen lassen.
SZ 26/195 (1953): Wer eine fremde Sache ohne Rechtsgrund benützt hat, muss ein Benützungsentgelt entrichten. Das gilt auch für den Käufer, der den Vertrag nach Empfang der Kaufsache gewandelt hat; JBl 1992, 456.
Die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Rückabwicklung ist letztlich – wie schon ausgeführt – der Grund dafür, dass bei Dauerschuldverhältnissen keine ex tunc wirkende, sondern bloß eine ex nunc-Rückabwicklung erfolgt.
Ex nunc-Wirkung der Rückabwicklung bei DSchV
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10. Verzicht auf das Anfechtungsrecht?
Auf das Recht, einen Vertrag wegen Irrtums anzufechten, kann gültig (!) verzichtet werden:
• und zwar sowohl im vorhinein (= vor/bei Vertragsschluss), wie auch
nachträglich (zB auch schlüssig).
• Zu Recht zurückhaltend ist die Rspr aber bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf das Anfechtungsrecht; vgl zB ZVR 1989/169: Beispiele.
Überhaupt nicht gültig verzichtet werden kann im Vorhinein auf die Willensmängel des § 870 ABGB, also Täuschung und Drohung. Trotzdem geschieht dies immer wieder auch in von Rechtsanwälten verfassten Verträgen.
Keine Verzichtsmöglichkeit im Vorhinein nach § 870 ABGB
„Im vorhinein” verzichtet wird idR im Rahmen von Vertragsschlüssen, indem zB in einem eigenen Vertragspunkt oder in AGB das Recht der Irrtumsanfechtung ausgeschlossen wird. – „Im nachhinein” dadurch, dass vom bestehenden Anfechtungsrecht nicht Gebrauch gemacht wird.
„Im vorhinein” …
Rechtssprechungsbeispiel
HS 7335/13 (1969): Kauf einer Eiscremerzeugungsmaschine: Einen schlüssigen (§ 863 ABGB) Verzicht hat der OGH angenommen, weil der Käufer in Kenntnis des Irrtums die Maschine die ganze Saison benützt und nichts unternommen hat.
SZ 55/21 (1982): Nach der Rspr ist bei Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf das Anfechtungsrecht aber immer besondere Vorsicht geboten. Er darf nicht zu „leicht” angenommen werden; zB nicht, wenn ein gebrauchter Pkw, der mit schweren Mängeln gekauft wurde (ua schwere Rostschäden an der Bodenplatte) idF rasch weiterverkauft wird.
ZVR 1989/169 (OLG Wien): Ein stillschweigender Verzicht auf Anfechtung eines Pauschalreisevertrags kann nicht im Unterlassen des Urlaubsabbruchs erblickt werden, wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen geboten oder nicht möglich war; hier wegen eines fix vereinbarten Charterrückflugs.
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11. Verjährung
Das Recht der Irrtumsanfechtung verjährtnach § 1487 ABGB in 3 Jahren; das Recht einen Vertrag nach § 870 ABGB anzufechten in 30 Jahren. – Die Verjährungsfrist läuft in beiden Fällen ab Vertragsschluss.
§ 1487 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/71 (1981): Kauf eines Halbrohbaus – 3-Jahresfrist wurde hier versäumt!
RSpr 1932 Nr 309: Das Erlöschen des Gewährleistungsanspruchs durch Zeitablauf schließt die Anfechtung wegen Irrtums nicht aus (!). – Freilich muss die Anfechtung innerhalb der Irrtumsverjährungszeit erfolgen → Verjährung
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VII. Sogenannte Willensvorbehalte
Eine andere Gruppe von Willensmängeln wird auch unter dem Begriff der „Willensvorbehalte “ unter ein gemeinsames dogmatisches Dach zu bringen versucht. Die Abgrenzung zwischen relevanten Beeinträchtigungen der Geschäftsfähigkeit und einem unbeachtlichen Willensvorbehalt ist aber nicht immer leicht. – Hierher gehören:
1. Geheimer Vorbehalt oder Mentalreservation
Geregelt in § 869 Satz 3 ABGB: Wer sich, „um einen andern zu bevorteilen, undeutlicher Ausdrücke bedient oder eine Scheinhandlung unternimmt, leistet Genugtuung”. – Die Rechtsordnung toleriert solche Vorbehalte nicht und „hält den Erklärenden an seiner Erklärung fest”; Gschnitzer: Das Geschäft ist von Anfang an gültig und bleibt es auch.
§ 869 Satz 3 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1968/234: Mann wollte eine Ehe auf Zeit schließen, um ein gemeinsames Kind zu legitimieren. Geschlossene Ehe ist gültig, der geheime (Zeit)Vorbehalt des Mannes unbeachtlich. – Darin liegt eine berechtigte Einschränkung des Willensprinzips.
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2. Fehlende Ernstlichkeit
Bedeutung für die Qualität der Willenserklärung und damit uU auch für die Frage der Geschäftsfähigkeit (!) besitzt dagegen die fehlende Ernstlichkeit, die auch „Scherzerklärung” genannt wird. Sie spielt praktisch insbesondere bei Rechtsgeschäften von und mit Alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden eine wichtige Rolle. Der OGH wendet hier ebenfalls § 869 ABGB an; arg: Dem Vertragspartner hätte die mangelnde Ernstlichkeit – iS einer willensmäßigen Beeinträchtigung – auffallen müssen. Wichtig ist das für „Wirtshausgeschäfte”! Eine Rolle spielen kann das Kriterium der Ernstlichkeit aber auch bei Rechtsgeschäften mit alten Menschen / Demenz etc. – Beweisfragen in diesem Zusammenhang sind oft schwierig.
Rechtssprechungsbeispiel
Die Rspr unterscheidet – angeheitert, ist nicht berauscht und alkoholisiert nicht volltrunken. – Unterscheidung scheint in der Tat nötig; vgl GlU 3672 (1870): Der im Rausche, wenn gleich nicht in Volltrunkenheit geschlossene Vertrag kann mangels Ernstlichkeit des Willens ungültig sein.
SZ 39/191 (1966): Verlöbnis als Scherz führt zu Schadenersatz; einfältiger Mann suchte Frau für das von ihm zu eröffnende Gasthaus: Er bezahlte eine Verlöbnisfeier – und die Frau nahm von ihm einen Pelzmantel als Geschenk an.
GlU 3672: Eine Erklärung, deren mangelnde Ernstlichkeit sich aus der Art der Äußerung und aus den Begleitumständen objektiv (!) ergibt und dem Erklärungsempfänger erkennbar ist, ist ungültig.
SZ 39/191 (1966): Dagegen sind Scherzerklärungen, deren mangelnde Ernstlichkeit dem anderen Teil nicht erkennbar war, gültig; dazu treffend Gschnitzer, AllgT1 167 f.
JBl 1960, 445: Auch eine Gemütsaufregung kann die Ernstlichkeit einer Erklärung ausschliessen.
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3. Scheingeschäft / Simulation: § 916 ABGB
Praktisch wichtig ist § 916 Abs 1 Satz 2ABGB; sog Dissimulation. Mittels eines Scheingeschäfts soll das wahre, eigentlich gewollte Geschäft verdeckt werden.
Zu unterscheiden ist dabei das:
• vorgeschobene oder simulierte Geschäft vom
• verdeckten oder dissimulierten.
Das simulierte Geschäft wird, als bloß vorgetäuscht und nicht gewollt, „weggeräumt”. Das dissimulierte / verdeckte Geschäft dagegen bleibt – weil gewollt – gültig bestehen; es ist „nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen”: also zB als Kauf und nicht – wie vorgetäuscht – als Schenkung oder Miete.
Rechtsfolgen für das simulierte und das dissimulierte Geschäft
§ 916 Abs 2 ABGB legt noch fest, dass einem „Dritten, der im Vertrauen auf die [simulierte] Erklärung Rechte erworben hat, ... die Einrede des Scheingeschäftes nicht entgegengesetzt werden” kann. – Das sind häufig Behörden, insbesondere das Finanzamt; vgl auch § 23 Abs 1 BAO 1961, BGBl 194:
Wirkung des Scheingeschäfts auf „Dritte“
„§ 23. [BAO] (1) Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die Erhebung von Abgaben ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Abgabenerhebung maßgebend.
§ 23 BAO
(2) Die Erhebung einer Abgabe wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Verhalten (ein Handeln oder ein Unterlassen), das den abgabepflichtigen Tatbestand erfüllt oder einen Teil des abgabepflichtigen Tatbestandes bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nichtig, so ist dies für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen.
(4) Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die Erhebung von Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt ist.
(5) Von den Anordnungen der Abs. 2 bis 4 abweichende Grundsätze der Abgabenvorschriften bleiben unberührt.”
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
wobl 1995, 90/39: Haftung (eines Rechtsanwalts) für die Kosten der Errichtung eines Kaufvertrags – Zum Verhältnis und zur Tragweite von Scheingeschäften und verdecktem Geschäft.
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4. Umgehungs- und Umweggeschäfte
Abzugrenzen vom Scheingeschäft sind:
• Umgehungs- und
• Umweggeschäfte.
Sie sind grundsätzlich gültig, weil der Gesetzgeber nur einen bestimmten Weg verbietet, nicht aber andere oder alle Wege zu einem (an sich) erlaubten Ziel.
Umweggeschäfte
Beispiel
Sie sind dagegen immer unzulässig und von Anfang an nichtig. – Das Umgehungsgeschäft will grundlegende Zielsetzungen des Gesetzgebers – insbesondere Verbote oder eine Genehmigungspflicht – unterlaufen, verstößt also gegen Ziel und Zweck einer gesetzlichen Vorschrift. Das spielt(e) bspw im Grundverkehrsrecht eine bedeutende, aber unrühmliche Rolle. Auf das Umgehungsgeschäft wird bei § 879 ABGB eingegangen → KAPITEL 11: Die (Gesetzes)Umgehung.
Umgehungsgeschäfte
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VIII. Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage
Literaturquelle
1. Ein (weiterer) Auffangtatbestand
Die Judikatur versteht die St/WdGG richtig als Wegfall/Störung der verkehrstypischen Voraussetzungen eines Geschäfts – nicht nur der individuellen Voraussetzungen einer Partei, eben seiner geschäftlichen Grundlage für beide Seiten und betont:
„Da die Lehre von der Geschäftsgrundlage als Ergebnis einer Lückenfüllung zu verstehen ist.., muss ein Rückgriff auf sie dort unterbleiben, wo ein Sachverhalt durch das Gesetz [ohnehin] geregelt ist”; SZ 54/71 (1981).
Das heißt: Dieses Rechtsinstitut dient – neben den Willensmängeln und den Kondiktionen – als Auffangtatbestand der Lückenfüllung und soll helfen, unangemessene und ungerechte Ergebnisse zu vermeiden; vielleicht auch dazu, Ergebnisse leichter gewinnen und besser begründen zu können.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 48/9 → Der Motivirrtum, wo statt eines Motivirrtums auch eine StdGG angenommen werden könnte. – Zur Bewertung des Rechtsinstituts → Sparsamer Umgang erscheint angezeigt
Seine Entstehung verdankt unser Rechtsinstitut für den Bereich des österreichischen Privatrechts – ähnlich wie die cic, einer umfassenden Rechtsanalogie → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
Entstehung
Grundgedanken in diese Richtung gibt es in und außerhalb des ABGB: Abgesehen von § 901 Satz 2 ABGB (= ausdrücklich zur Bedingung erhobener Beweggrund / Endzweck) sind vor allem zu nennen: – die Umstandsklausel des § 936 ABGB; – § 1052 Satz 2 ABGB (sog Unsicherheitseinrede); – § 1435 ABGB (condictio causa finita und condictio causa data, causa non secuta); – §§ 947 ff und § 1247 ABGB (Schenkungswiderruf); – Unterhaltsvereinbarungen unterliegen nach der Rspr grundsätzlich der clausula rebus sic stantibus (Umstandsklausel) und überhaupt – die Kündbarkeit von DSchVn.
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2. Nötige Abgrenzungen
Abzugrenzen gilt es unser Rechtsinstitut vom Irrtum und hier wiederum vor allem vom gemeinsamen Irrtum. Der für die Praxis nicht unwichtige Unterschied liegt dabei darin, dass der gemeinsame Irrtum schon bei Vertragsschluss vorliegen muss (!), während es die St/WdGG ermöglicht, auch noch nachträgliche Veränderungen, die den vereinbarten Leistungsaustausch (also das Schuldverhältnis) betreffen – etwa solche, die zwischen Vertragsschluss und Erfüllung oder bei aufrechter Leistungsbeziehung eines DSchV entstehen – so sie ein gewisses Maß übersteigen, zu berücksichtigen. Das rückt die Lehre von der St/WdGG in die Nähe der Lehre von den Dauerrechts- und Dauerschuldverhältnissen, wo aber die Kündigung(smöglichkeit) dafür sorgt, dass unzumutbare Entwicklungen nicht eintreten, weil (nachträglichen) Veränderungen durch Kündigung begegnet werden kann. – Für den Bereich der DSchVe erscheint die Lehre von der St/WdGG daher überflüssig; vgl aber → Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage: Anpassungskündigung.
Unterschiede zwischen Irrtum und StdGG
Als um 1900 die Elektrizität die bisherige kommunale Gas(straßen)beleuchtung ablöste, wollten viele Städte auf die neue Energie umsteigen. Beim Abschluss der oft langfristigen (Gas)Energiebezugsverträge hatte niemand daran gedacht (Unvorhersehbarkeit!), dass das Gas einmal durch Strom abgelöst werden könnte. (Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass dazu wohl auch die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ausgereicht hätte. Allein auch das Recht der Dauerschuldverhältnisse war damals noch unentwickelt! Vgl F. Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht, in: FGL 129 ff.) – Ein vergleichbarer Fall liegt vor, wenn ein Unternehmer biologische oder doch schonende und unschädliche Düngemittel beziehen will und sich erst später – nämlich nach Vertragsschluss und nach zwischenzeitig begonnener Erfüllung – herausstellt, dass ausgerechnet „sein” Düngemittel umweltschädigende Substanzen enthält. Natürlich muss er künftig „dieses Mittel” nicht weiter beziehen! Selbst wenn er sich dazu vertraglich verpflichtet hätte. (Auch eine aktuelle Lieferung kann rückabgewickelt werden!) Hier kann es auch zur Aufkündigung langfristiger Lieferverträge kommen; und zwar aus wichtigem Grund, also ohne Einhaltung allenfalls bestehender Kündigungstermine oder -fristen.
Historische Entwicklung
Unser Rechtsinstitut vermag aber nicht dingliche oder verdinglichte Rechtsbeziehungen”leichter” aushebeln zu helfen. Mag auch die Auflösbarkeit dinglicher Rechtsbeziehung „modern” geworden sein; dazu → KAPITEL 6: Was ist und wie wirkt die Kündigung?.
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3. Sparsamer Umgang erscheint angezeigt
Diese Überlegungen zeigen, dass auf der einen Seite das Rechtsinstitut der St/WdGG gar nicht gebraucht wird, weil oft auch der (gemeinsame) Irrtum weiterhilft – auch der Bundesligaskandalfall (→ Rspr-Beispiele: Rspr-Beispiele) wäre so zu lösen gewesen! – und auf der andern Seite die Anwendung der Regeln der Dauerschuldverhältnisse ein über die Möglichkeit der (insbesondere ao) Kündigung hinausgehendes Rechtsmittel erübrigt! Ein „wichtiger Grund” berechtigt dann eben zur ao Kündigung! – Das soll aufzeigen, dass mit der Anwendung unseres Rechtsinstituts sparsam umgegangen und seine Funktion als „Auffangtatbestand” ernstgenommen werden muss.
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4. § 313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage
§ 313 dtBGB – eingeführt durch die am 1.1.2002 in Kraft getretene sog Schuldrechtsreform – regelt nunmehr ausdrücklich die „Störung” und nicht nur den „Wegfall” der (gesamten) Geschäftsgrundlage. Dadurch wurde das bislang auch in Deutschland nur von der Rspr anerkannte, nicht aber gesetzlich geregelte, Rechtsinstitut vom Gesetzgeber „eingefangen”. Der flexibel gestaltete Tatbestand ermöglicht nunmehr nicht nur – parallel zu unseren §§ 871, 872 ABGB (die wohl als Vorbild dienten) – eine Anfechtung des Gesamtvertrags, sondern auch eine Vertragsanpassung (wie beim unwesentlichen Irrtum).
Neben dem erwähnten Lösungspotential des
Vorbildliche deutsche Lösung
• Irrtums berücksichtigt die vorbildliche deutsche Lösung auch jenes der
• Dauerschuldverhältnisse (Kündigung) und darüber hinaus der
• Zielschuldverhältnisse (Rücktritt).
In Bezug auf eine Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen könnte dies nach den neuen BGB-Regeln auch zu einer Änderungs- oder Anpassungskündigung führen.
Störung der Geschäftsgrundlage
Text des § 313 dtBGB neu
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.”
Eine allfällige neue österreichische Regelung könnte legistisch in den Kontext der Irrtumsregeln gestellt werden; zB als neuer § 877 a ABGB (allenfalls noch § 877 b). – Die neue deutsche Regelung wird aber wohl schon vor einer gesetzlichen Regelung in Österreich als Analogiebasis (§ 7 ABGB) für die Rspr Bedeutung gewinnen und verdiente dies auch.
Neue österreichische Regelung?
§ 313 dtBGB kombiniert demnach Irrtumsanfechtung (Anpassung nach Abs 1) mit dem Rücktritt vom Vertrag (Abs 3) und der Kündigung (Abs 3). – Abs 2 stellt der „Veränderung der Umstände” nach Vertragsschluß den Fall gleich, dass die Geschäftsgrundlage von vorneherein”falsch” war, wodurch die neue bestimmung in Konkurrenz zu anderen Willensmängeln – insbesondere den Irrtum – tritt.
Die Verjährung (→ KAPITEL 13: Die Verjährung) wäre de lege ferenda durch Aufnahme des neuen Tatbestands in § 1487 ABGB zu regeln, wodurch – anders als dzt (→ Verjährung) – eine einheitliche 3-jährige Verjährungsfrist geschaffen werden könnte. Sie sollte mit Kenntnis oder Kennenmüssen der Störung zu laufen beginnen.
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5. Geltendmachen durch Anfechtung
Wie beim Irrtum lässt die Rspr auch beim W/StdGG die Anfechtung zu. Auch die Wirkung ist dieselbe: ex tunc bei Ziel-, ex nunc bei Dauerschuldverhältnissen.
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6. Verjährung
Die vom OGH dzt unterschiedlich angenommene Verjährungsfrist unseres Rechtsinstituts – nämlich 3 oder 30 Jahre – macht deutlich, dass der OGH unser Rechtsinstitut das eine Mal zur Ergänzung des gemeinsamen Irrtums, ein andres Mal (mehr) als Facette eines Bereicherungsausgleichs betrachtet → Ungerechtfertigte Bereicherung – Auch das offenbart das dogmatische Zwitterdasein des Rechtsinstituts W/StdGG.
Zur möglichen Änderung dieses unbefriedigenden Zustands → § 313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage
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7. Rspr-Beispiele
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1954, 396: Schenkung von Liegenschaften der Gauhauptstadt K(lagenfurt) an die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] im Jahre 1942. – Nach Kriegsende verlangt die Geschenkgeberin, also die Stadt Klagenfurt, die Grundstücke, die mittlerweile in das Eigentum der Republik übergegangen sind, zurück, da „sie bei Kenntnis des Umstandes, dass dem Wirkungskreis der NSV nur eine kurze Dauer beschieden sein werde”, der NSV die beiden Liegenschaften nicht geschenkt hätte. [!] – Der OGH lehnte aber das Begehren der Stadt Klagenfurt ab und führt aus: „Die Möglichkeit der Änderung eines politischen Systems ist, wie die geschichtlichen Erfahrungen der letzten Jahrhunderte zeigen, keine bloß akademische oder entfernte. Eine unbeschränkte Fortdauer des NS-Staates, der im wesentlichen auf Furcht und Zwang gegründet und in einem Kampf auf Leben und Tod mit den wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Staaten der Erde verstrickt war, musste mit Rücksicht auf die Erfahrungen des 1. Weltkrieges zumindest als zweifelhaft erscheinen. Daran ändert auch nichts, dass die Machthaber des nationalsozialistischen Staates eine solche Möglichkeit einer Änderung des politischen Systems als ein strafwürdiges Verhalten erblickten.”
SZ 37/8 (1964) Kauf einer Waschmaschine ohne geeigneten Stromanschluss: Das Vorhandensein einer ausreichenden elektrischen Stromstärke stellt in einem solchen Fall eine Geschäftsgrundlage dar, und nicht, wie der Erstrichter meint, einen nur in die persönliche Sphäre der Beklagten fallenden Umstand. Denn es hat der Verkäufer ohne weiteres erkennen können, dass der Ankauf der für den Haushalt bestimmten Waschmaschine nur dann für die Beklagte von Wert ist, wenn diese die Waschmaschine mit dem in ihrem Haushalt zur Verfügung stehenden elektrischen Strom auch betreiben kann. Sollte das Geschäft nur infolge Unkenntnis vom Nichtvorhandensein dieser Voraussetzung zustande gekommen sein, dann wäre die Beklagte in der Tat nicht an den Vertrag gebunden .... Darauf, ob für die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung die Kenntnisse der Vertragspartner ausreichten oder ob besondere Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Das Fehlen dieser Geschäftsgrundlage hätte auch dann die Unverbindlichkeit des Vertrages für die Beklagte zur Folge, wenn der Verkäufer nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt haben sollte, um das Fehlen dieser Voraussetzung selbst feststellen zu können. – Die Irrtumsregeln hätten ausgereicht.
EvBl 1972/126: Der Vertrag über die Ausbildung zum Programmierer kann nicht eindeutig einer der im ABGB geregelten Vertragstypen zugeordnet werden; er ist ein Vertrag sui generis. Grundlage eines solchen Vertrag ist die Eignung des Schülers für diesen Beruf. Stellt sich später heraus, dass sie fehlt und jede Schulung zwecklos ist, dann ist damit eine von beiden Parteien dem Vertragsabschluss unterstellte Voraussetzung nicht gegeben und infolgedessen die Geschäftsgrundlage weggefallen. – Das Lehrinstitut hat dann keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Entgelts. ( Vgl die E JBl 1987, 521: Fernlehrvertragsabschluß durch einen Matrosen, wo bei gleicher Argumentation unser Rechtsinstitut nicht herangezogen wird. – Anwendung der Irrtumsregeln hätte genügt.)
EvBl 1974, 29: Mann schenkt seiner Freundin 150.000,– S, damit sie ihn heirate, und beruft sich nach dem Scheitern der Ehe auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, was der OGH ablehnt, weil ihn selbst Mitverschulden an der Scheidung traf.
JBl 1979, 652: Tischler inseriert in Stadtplan, weil er der Meinung war, es handle sich um eine politisch neutrale Publikation, was seines Erachtens aber durch eine ÖVP-Werbeeinschaltung nicht mehr gewährleistet war: „Wer einen Auftrag zur Einschaltung eines kommerziellen Inserats in eine Broschüre (Stadtplan) erteilt, der erkennbarerweise durch verschiedenste Inseratenaufträge finanziert wird, kann nicht erwarten, dass sich unter den Inseraten nicht auch eines einer politischen Partei befindet, weil das allein dem Druckwerk noch nicht den Charakter einer parteipolitischen Propagandaschrift gibt. Bei Aufnahme einer solchen Anzeige liegt daher weder Geschäftsirrtum, noch Wegfall der Geschäftsgrundlage, noch ein zur Gewährleistung verpflichtender Mangel vor.”
NZ 1980, 37 (1976): Verkauf geplanter Eigentumswohnungen an deutsche Staatsbürger (Hotelappartements!), ohne diese aufzuklären, dass die Grundverkehrsbehörde in gleichgelagerten früheren Fällen die Genehmigung verweigert hatte. – OGH trägt dem Argument der Käufer (= Kläger), die Geschäftsgrundlage sei weggefallen, Rechnung. (Irrtum hätte ausgereicht.)
NJW 1976, 565: Bundesligaskandalfall. – Zwei deutsche Bundesligavereine schlossen einen sog Spieler(kauf)vertrag. Beide Vereine wussten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht, dass der Spieler in eine Bestechungsaffäre verwickelt war, deretwegen er idF für lange Zeit „gesperrt” wurde, also nicht spielen konnte. Der erwerbende Verein machte erfolgreich WdGG geltend, weil er davon ausgegangen war, dass der Spieler in der neuen Saison spielberechtigt sei. – Nach ABGB hätte ebenso wesentlicher (gemeinsamer) Irrtum nach § 871 ABGB angenommen werden können!
zurück D. Steuern
vor F. Ungerechtfertigte Bereicherung