Altkleidermarkt vor dem Kollaps Die Fast-Fashion-Flut
Kay Goetze, Stadtreinigung Hamburg
"Ich möchte jetzt nicht unappetitlich werden. Aber dort landet tatsächlich vom Hundekot bis zum Restmüll Elektroschrott so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann."
Martin Wittmann, Vorsitzender Fachverband Textilrecycling
"Wir würden uns wünschen, dass hier mehr der Fokus auf Qualität gelegt wird, weniger dieser Fast Fashion Trend."
Tim Janßen, "Cradle to Cradle NGO"
"Es kommt darauf an, dass Unternehmen im Grunde alles in ihrer Textilproduktion neu überdenken und ganz anders machen."
Die Stadtreinigung Hamburg rückt mit schwerem Gerät an: Drei Altkleider-Container werden hier abgebaut, bis Ende August sollen alle 120 städtischen Sammelstellen verschwunden sein. Der Grund: Billigmode flutet den Markt, die Stadt wird die Kleiderberge überhaupt nicht mehr los.
Kay Goetze, Stadtreinigung Hamburg
"Es ist zum einen die Menge, die uns zu schaffen macht, es ist einfach viel zu viel "Fast Fashion" und viel zu viel Kleidung, die im Umlauf ist. Wenn jede Woche, jeden Monat eine neue Kollektion auf den Markt gebracht wird, wird die nicht mehr in der Qualität produziert, die man braucht, um wirklich noch was Sinnvolles am Ende daraus zu machen."
Das Problem: Die weltweite Produktion von Textilien hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2015 mehr als verdoppelt, während die Tragedauer rasant gesunken ist. Viermal wird ein Kleidungsstück durchschnittlich angezogen, bevor wir es als Altkleidung aussortieren. 40 Prozent werden sogar seltener oder nie getragen.
Bislang funktionierte das Geschäft mit gebrauchter Kleidung in Hamburg so: Die Stadtreinigung sammelte die Altkleider und verkaufte sie an einen Textilverwerter. Doch die Qualität der Kleidung ist mittlerweile so schlecht, dass daraus nicht mal mehr Putzlappen gemacht werden können. Auch, weil immer mehr Menschen ihren Müll in den Containern entsorgen.
Kay Goetze Stadtreinigung Hamburg
"Man sieht hier zum Beispiel Essensreste in dieser Tüte, diese Plastiktüte. Wir sehen hier mehrere Flüssigkeiten, in Plastik verpackt, Plastikflaschen, Geschenkband, man sieht es Kleiderbügel. Es gibt fast nichts, was man hier nicht sehen kann, und das ist eigentlich erschreckend, wenn man überlegt, dass man im Grundgedanken, wenn man eine Kleidung abgibt und vielleicht noch jemandem zugute kommen lassen möchte, dass es Menschen gibt, die so etwas dazutun."
Bremerhaven. Bei der Firma Textrade kommen 50 Tonnen gebrauchte Textilien pro Tag an. Jahrelang boomte die Branche, vor allem der Verkauf von Secondhand-Ware nach Afrika und Osteuropa war lukrativ. Doch nun sitzen die Sortierunternehmen vor allem auf dem Müll, der in den Containern landet.
Martin Wittmann, Vorsitzender Fachverband Textilrecycling
"Das Problem dabei ist, dass die Müllentsorgung immer stärker gestiegen ist in den letzten Jahren. Wir waren früher bei 100 Euro pro Tonne, und mittlerweile sind wir bei über 300 Euro Verwertungskosten pro Tonne angelangt."
Auf diesen Kosten will die Branche nicht länger sitzen bleiben. Um das Geschäft zu retten, möchte Verbandschef Wittmann zukünftig eine Gebühr von der Modeindustrie fürs Sammeln und Recyclen der Textilien nehmen.
Martin Wittmann, Vorsitzender Fachverband Textilrecycling
"Es gäbe die Möglichkeit, dass man eine gewisse Steuer pro Kleidungsstück verkauftes Kleidungsstück einführt, sodass der Anreiz dafür geschaffen wird, mehr auf Qualität und weniger auf Quantität zu setzen."
Berlin. Bei der NGO "Cradle to Cradle" machen sich Tim Janßen und Nora Sophie Griefahn seit Jahren darüber Gedanken, wie die Wirtschaft nachhaltiger gestaltet werden kann - auch der Textilmarkt. "Cradle to Cradle" heißt übersetzt so viel wie "Von der Wiege zur Wiege" – dahinter steckt die Idee, alle Produkte so zu konzipieren, dass sie nach ihrer Nutzung entweder biologisch abbaubar oder sortenrein recycelbar sind.
Der Textilmarkt ist besonders komplex: Die Hersteller sitzen verteilt auf der ganzen Welt, die Warenströme sind vernetzt. Doch es gibt Produzenten, die das Konzept "Cradle to Cradle" bereits jetzt anwenden.
Nora Sophie Griefahn, "Cradle to Cradle NGO"
"Was ganz spannend ist: Diese Textilie, die aus einem Material ist, was einerseits eine Textilie herstellen kann, andererseits auch eine Trinkflasche herstellen kann. Es geht immer darum, das richtige Material zu definieren, und vorher zu überlegen: Welches ist das Material, das ich für das Design und das Nutzungsszenario am Ende brauche. Und das ist ein Material, das am Ende biologisch abbaubar ist, das heißt, wenn ich die Flasche im Wald vergesse, ist das kein Problem, und wenn ich das T-Shirt, was ich auf der Haut trage, dann ist es dafür gemacht und wenn ich es in der Waschmaschine wasche, dann sind die Fasern, die sich davon abwaschen, so, dass sie in die Umwelt gehen können und kein Problem darstellen können."
Ein Schlafanzug, der kompostierbar ist, ein Teppichboden, der immer wieder verlegt werden kann. Griefahn und Janßen glauben: In den Markt kommt Bewegung.
Tim Janßen, "Cradle to Cradle NGO"
"Da gibt es ganz viele Beispiele von gesunden Textilien, das geht bis hin zu neuen Druckfarben. Wir haben jetzt einen Hersteller gesehen, der mit einem Farbenhersteller in Süddeutschland neue "Cradle to Cradle"-taugliche Farben überhaupt erst entwickelt hat. Das gab es vorher gar nicht bei Textilien, weil diese Druckverfahren auch erst neu entwickelt werden mussten, inklusive der Farbe selbst und dem Verfahren."
Zurück bei der Hamburger Stadtreinigung: Auch wenn die Container hier abgebaut werden – Altkleider sollen in Zukunft natürlich nicht im Restmüll entsorgt werden: Abgetragene Textilien können weiterhin direkt zum Wertstoffhof gebracht werden, gut erhaltene Kleidung zu Second-Hand-Läden. Doch am meisten kann man bewirken, indem man seine Kleidung lange trägt und gut pflegt.