Ein Mann isst eine Suppe
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Anstieg sozialer Probleme

Pandemie als Armutsbeschleuniger

„Die, die es schon immer schwer haben, haben es jetzt noch schwerer“, hat Martin Schenk von der Armutskonferenz am Donnerstag die Auswirkungen der Pandemie auf Arme und Armutsgefährdete zusammengefasst. Und das ist auch die Hauptbotschaft einer Studie, die Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) beauftragt hatte. Der Ruf nach Nachbesserungen bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfe wird laut.

Neben den wirtschaftlichen Sorgen und Existenzängsten hätten auch psychische Belastungen und Erkrankungen stark zugenommen, sagte Karin Heitzmann, Sozialwissenschaftlerin an der Wirtschaftsuniversität Wien. 2019 waren rund 17 Prozent der Bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die eigentlich positive Entwicklung der Quote könnte wegen der Pandemie gestoppt werden und sich sogar umkehren, warnte Heitzmann.

Wesentliche Ursachen für ein höheres Armutsrisiko waren vor der Krise Arbeitslosigkeit, niedrige Bildung und ausländische Herkunft, besonders gefährdet sind laut Heitzmann auch Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern. In der Krise waren nun Ausländer und Ausländerinnen, Junge und Langzeitarbeitslose überproportional von der erhöhten Arbeitslosigkeit betroffen.

Neu gefährdet seien die vielen Selbstständigen, denen die Erwerbsgrundlage weggebrochen sei, sagte Heitzmann. Hinzu kämen besondere Belastungen durch Homeschooling, unter dem Alleinerziehende, Großfamilien und bildungsfernere Familien besonders gelitten hätten. „Wir wissen, dass Armut ganz eng verbunden ist mit Bildungsungleichheiten, speziell auch die langfristige oder nachhaltige Möglichkeit, aus der Armut auszusteigen“, sagte Heitzmann im Ö1-Mittagsjournal.

„Verfestigung traditioneller Geschlechterrollen“

Deutlich zu beobachten sei, dass die psychischen Belastungen stark zugenommen hätten, sagte Heitzmann. Und schließlich sei es „zu einer Art Verfestigung von traditionellen Geschlechterrollen gekommen“ – alle Studien und Befragungen hätten ergeben, dass die informelle Betreuungsarbeit sehr stark auf den Müttern laste. In ihrer Studie verzeichnet Heitzmann auch eine Zunahme der Nachfrage nach Sozialleistungen, so sei die Anzahl der Vollbezieher von Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung zwischen März und Juli um 23 Prozent gestiegen.

Arbeit als wichtigstes Gegenmittel

Wichtigste Maßnahme im Kampf gegen Armut sei es, die Menschen in die Erwerbsarbeit zu bringen, „und zwar nachhaltig“, wie Heitzmann betonte. Notwendig dazu seien Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, aber auch ein flächendeckender Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen, um überhaupt Vollzeitarbeit zu ermöglichen. Sinnvoll sei aber auch eine Erhöhung von Leistungen wie Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe. Die bisher gewährten Einmalzahlungen würden wohl nicht ausreichen.

Auch Anschober sieht eine Arbeitsstiftung, Ausbildungen und Umschulungen als Schlüssel dafür, dass aus der schweren Gesundheitskrise keine soziale Krise werde. Auch sicherte er Verbesserungen beim Zugang zu Therapien bei psychischen Problemen zu, denn hier habe man eine „Lücke“, gestand er ein. Der Minister spricht sich außerdem für eine weitere Erhöhung des Arbeitslosengeldes aus. Langfristig trete er auch für Vermögenssteuern ein, der Standpunkt der Grünen dazu sei ja „kein Geheimnis“. Anschober: „Ein klares Ja zur Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung am Tag danach“, zunächst sei aber die Bewältigung der Krise im Fokus.

Mann mit Einkaufstasche
ORF.at/Christian Öser
Laut Anschober ist derzeit ein „Nationaler Aktionsplan gegen Armut“ in Ausarbeitung

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser sagte, die Studie zeige, wie wichtig jetzt eine „gute Mindestsicherung wäre, statt einer schlechten Sozialhilfe, die Menschen in Existenznöten und Notsituationen nicht trägt.“ Auch Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe, forderte, aus der Sozialhilfe „wieder eine Mindestsicherung zu machen, die ein Überleben in der Krise möglich macht“. Außerdem brauchte es „eine Nachjustierung des Familienhärtefonds. Derzeit haben vormals geringfügig Beschäftigte keinen Anspruch.“

Hickhack um Härtefonds

Um den Härtefonds entfachte sich am Donnerstag neuerlich politischer Streit. Während die Opposition und die Arbeiterkammer (AK) dem Familienministerium „Chaos“ vorwarfen und kritisierten, dass mehr als 20.000 Antragstellerinnen und Antragsteller noch immer nicht ihr Geld erhalten haben, verteidigte die zuständige Ressortchefin Christine Aschbacher (ÖVP) die Vorgangsweise. Sie legte Zahlen vor, um zu belegen, dass die Auszahlung zum größten Teil funktioniere.

Kritik an Familienhärtefonds

Da von den rund 110.000 Anträgen auf Unterstützung aus dem Familienhärtefonds, die seit April gestellt wurden, noch mehr als 20.000 offen sind, wird Kritik laut. Das zuständige Ministerium begründet diesen Umstand mit unvollständigen Angaben der Antragsteller.

Den Familienhärtefonds gibt es seit April, Familien mit Kindern können für maximal drei Monate um Unterstützung ansuchen, sofern sie von Arbeitslosigkeit durch die Krise betroffen sind. Laut den der APA vorliegenden Zahlen des Familienministeriums (Stand: 6. Oktober) wurden 93 Prozent der Anträge bearbeitet. 22.190 Anträge seien unvollständig eingereicht worden, die betroffenen Personen seien aufgefordert worden, Daten bzw. Unterlagen nachzureichen. Bei 19.420 dieser Antragsteller habe es aber trotz wiederholter Nachfrage bisher keine Rückmeldung gegeben, teilte das Familienministerium mit.

Lücken im Bezieherkreis

In einer Facebook-Gruppe mit knapp 4.000 Mitgliedern würden Antragssteller und Antragsstellerinnen immer wieder beklagen, dass sie mehrfach ein und dasselbe Dokument nachreichen mussten, berichtete Ö1. Ein Organisationsproblem gebe es aber nicht, so Aschbacher: „Das sind Einzelfälle, und zugleich kann ich Ihnen versichern, dass wir über den Sommer hier intensiv weiterentwickelt haben in der IT, im Personal, aber auch in den Prozessabläufen. Und dadurch war es möglich, über 81 Millionen bereits zur Auszahlung freizugeben.“

Ingrid Moritz von der AK kritisierte dagegen, dass viele, die das Geld dringend brauchen würden, vom Bezug ausgeschlossen seien. So bekämen etwa geringfügig Beschäftigte nichts, auch bei getrennt lebenden Partnern und Partnerinnen gebe es Lücken. Außerdem sei es „eine große Ungerechtigkeit“, dass jene, die schon vor dem 28. Februar arbeitslos geworden sind, deutlich weniger Geld bekommen. „Sie haben die gleichen Probleme jetzt am Arbeitsmarkt.“