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Arbeitswelt

Arbeitsbedingungen bei Amazon in Österreich: “Du arbeitest wie eine Maschine”

Lagerarbeit bei seiner Tätigkeit
Aktuelle und ehemalige MitarbeiterInnen und Angestellte von Amazon-Subfirmen erzählen MOMENT von haarsträubenden Arbeitsbedingungen bei Amazon. ©pexels.com/Alexander Isreb
12-Stunden-Arbeitstage, unbezahlte Überstunden, totale Überwachung und sogar ein Bestrafungssystem: Paket-Lieferanten und Lager-ArbeiterInnen von Amazon haben MOMENT von schlechten Arbeitsbedingungen berichtet. Warum kann niemandem dem Online-Riesen etwas anhaben?
Derzeit wirbt Amazon mit einem syrischen Flüchtling, der Dank des Online-Riesen Karriere machen konnte, obwohl er “nicht ein Wort Deutsch” gesprochen hat, als er nach Europa kam. “Hier bei Amazon habe ich das Gefühl, dass ich mich entwickeln kann”, ist unter einem Foto von Mohanad zu sehen, der es sogar zum Instruktor geschafft hat.

Arbeitsbedingungen bei Amazon sind “reine Ausbeute”

Auch Karim und Ali sind von Syrien nach Europa geflüchtet und haben eine “Karriere” bei Amazon begonnen. Oder genauer gesagt: Bei einem der vielen Sub-Unternehmen, die für Amazon arbeiten. Die beiden bezeichnen die Arbeitsbedingungen gegenüber MOMENT als “reine Ausbeute”. 

Karim hat den Job als Amazon-Paketlieferant bereits vor rund einem Jahr hingeschmissen. Ali möchte aufhören, sobald er etwas anderes findet. Der anstrengende Job setzt ihm nicht nur psychisch, sondern körperlich zu: “Die Arbeit ist purer Stress, ich habe viel abgenommen und bereits Probleme mit den Knien.” In Krankenstand traut er sich nicht gehen, da er Angst hat, gekündigt zu werden.

Paket-ZustellerInnen sind nicht direkt bei Amazon angestellt

In der Regel sind Paket-LieferantInnen nicht direkt bei Amazon angestellt, sondern bei Sub-Unternehmen. Und dort werden Arbeitsrechte wie im Fall von Ali und Karim oft mit Füßen getreten: Die vielen ungesetzlichen Überstunden werden nicht ausbezahlt, auch Zeitausgleich gibt es nicht.

Karim hat als Paket-Lieferant rund 1.600 Euro netto im Monat verdient. Mit dem Lohn wäre er zufrieden gewesen – doch den stressigen Job hielt er nur eineinhalb Monate durch. Ali erhält ungefähr dasselbe Gehalt – allerdings muss er dafür auch am Samstag arbeiten. Die Arbeitsbedingungen haben sich also verschlechtert: Immer mehr Pakete, längere Arbeitszeiten und weniger Lohn.

Paket-LieferantInnen arbeiten mindestens 12 Stunden am Tag

Für Paket-LieferantInnen beginnt der Tag um fünf in der Früh, denn um sechs trudelt die LKW-Kolonne in den Amazon-Logistikzentren zur Beladung ein. In Wien und Umgebung gibt es derzeit zwei, in Großebersdorf und Liesing. Dann erhalten die FahrerInnen eine Lieferroute, die via GPS genau verfolgt wird. 

130 bis 150 Pakete müssen in der Regel am Tag ausgeliefert werden – in der Weihnachtszeit sind es jedoch deutlich mehr. “Viele Häuser haben keinen Lift, manche Wohnhausanlagen sind riesig und man findet die richtige Stiege nicht gleich – ich bin täglich 10 Kilometer gelaufen,” so Karim. Vor 18 Uhr war er nie fertig. “Nach der Arbeit willst du nur noch essen und fällst tot ins Bett, du arbeitest wie eine Maschine,” erzählt er.

 
Ein Amazon-Paket

Hast du dich schon einmal geärgert, weil dein Amazon-Paket einfach vor der Tür stand? Wenn du über die Arbeitsbedingungen der LieferantInnen Bescheid weißt, wundert dich gar nichts mehr. © pixabay.com/José Miguel

Warum Amazon-Boten Pakete einfach vor die Tür stellen 

Pakete, die nicht zugestellt werden können, müssen am Abend verpflichtend in die Amazon-Lager zurückgebracht und dürfen nicht über Nacht im LKW gelagert werden – obwohl ein Zustellungsversuch an drei aufeinander folgenden Werktagen erfolgt. Diese Praxis ist für die ZustellerInnen unverständlich. Sie kostet Zeit – und wird nicht bezahlt.

“Das ist weit, am Abend gibt es oft Stau und da verlierst du im schlimmsten Fall nach dem Ausliefern nochmals ein bis zwei Stunden und kommst erst irgendwann weit nach acht Uhr abends nach Hause”, erklärt Karim. 

Beschwerden statt Trinkgeld

Die KundInnen haben für die Arbeitsbedingungen der LieferantInnen meist kein Verständnis. Viele sind verärgert, wenn ihr Paket einfach vor die Tür gestellt wird. Auch die Nachbarn sehen oft nicht ein, warum sie Sendungen entgegennehmen sollen. Trinkgeld gibt es so gut wie nie – dafür gibt es oft Beschwerden. Und dann bekommen LieferantInnen als Art “Bestrafung” am nächsten Tag noch mehr Pakete zur Auslieferung. 

“Bei Beschwerden interessiert sich niemand für deine Version der Geschichte”, erklärt Karim. Ein befreundeter Paketzusteller musste einmal sogar 800 Euro für ein Handy bezahlen. Ihm wurde vorgeworfen, es behalten und die Unterschrift gefälscht zu haben. Mehrere Beschwerden können zu einer Kündigung führen – nach vier Monaten können manche wieder mit der Arbeit beginnen – zu noch schlechteren Konditionen.

Amazon selbst durch Sub-Firmen unantastbar

Tatsächlich befinden sich viele Paket-LieferantInnenen in weitaus schlechteren Situationen als Ali und Mohammed, erklärt Daniel Gürtler von der Gewerkschaft GPA: “Viele sind nicht einmal angestellt und arbeiten als Scheinselbstständige. Offiziell sind sie dann Einzelunternehmer, für sie gelten Arbeitszeitgesetze gar nicht.” 

Wenn Missstände publik werden, so putzt sich Amazon dann eben an diesen Sub-Unternehmen ab. Erst im Februar kam es zu einer Razzia beim Amazon-Lager in Großebersdorf. Dabei wurden 174 DienstnehmerInnen von 36 Amazon-Partnerbetrieben kontrolliert – und 49 Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt.

Auch in den Amazon-Lagern sind nur wenige MitarbeiterInnen direkt bei dem Internet-Riesen angestellt. Viele ArbeiterInnen werden über Leihfirmen geholt. LeiharbeiterInnen sollten in der Regel nur in Spitzenzeiten zuarbeiten. Die Gewerkschaft fordert deshalb nun eine gesetzliche Beschränkung der Anzahl von Leiharbeitern pro Unternehmen – damit hier nicht weiter Missbrauch betrieben werden kann.

“Du siehst nur noch Pakete und träumst davon”

Doch auch wer bei Amazon direkt angestellt ist, erlebt mitunter in einem arbeitsrechtlich korrekten Rahmen kein warmes Betriebsklima. MOMENT hat mit der Österreicherin Verena gesprochen, die im Sommer in einer höheren Position in einem der größten Amazon-Logistikzentren in Deutschland gearbeitet hat. Auch sie musste zumindest einige Stunden Pakete packen, um die Arbeitsabläufe kennenzulernen. “Das waren nur drei Stunden, aber danach bist du vollkommen gaga im Hirn. Am Anfang wunderst du dich noch über die absurdesten Produkte und wieso jemand Wandfarbe bei Amazon bestellt, aber irgendwann ist dir alles egal und du siehst nur noch Pakete und träumst auch in der Nacht davon”, erzählt Verena. 

So ähnlich beschreiben es auch zahlreiche LagerarbeiterInnen auf der Jobbewertungs-Plattform kununu: Sie vergleichen die Arbeit mit einem Straflager, oder gar einer “isolierten Kolonie in der Hölle”. Ein offenbar ehemaliger Mitarbeiter beschreibt es so: “Es ist wie in einem Gefängnis.” 

 
Ein Amazon Logistik-Lager

Einblick in ein Logistikzentrum von Amazon in Spanien. © wikipedia.de/Álvaro Ibáñez

 

Totale Überwachung: Scanner dokumentieren im Lager alle Arbeitsschritte

Das Musikhören bei der Arbeit ist verboten. Das Mitbringen von persönlichen Gegenständen wie dem Handy ist untersagt. Auch Kaugummi ist tabu. Die Arbeit ist monoton, der Druck jedoch groß. Mittels Scanner müssen MitarbeiterInnen jeden Arbeitsschritt dokumentieren. 

So wird die Arbeitsleistung gemessen – und jede Klopause, wie uns Verena erklärt: Ein Amazon-Mitarbeiter sollte vier Pakete in der Minute abpacken können, einen LKW in 15 Minuten be- oder entladen können, oder 270 Produkte von LKWs in den Lager-Regalen verstauen können. 

Wer diese Quoten nicht erfüllt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er oder sie den Job nicht behält. Gekündigt wird bei Amazon selten – meist werden die befristeten Verträge nicht verlängert. Das ist eleganter. Doch die Fluktuation ist ohnehin groß – denn bei solchen Arbeitsbedingungen geben viele schnell von selbst auf.

Bestrafungssystem von Amazon

Verena bestätigt, was die Gewerkschaft in Österreich im Vorjahr aufgedeckt hat: Nicht nur Paket-LieferantInnen, auch Lager-MitarbeiterInnen werden bestraft. Wer Fehler macht, oder die Kleidungsvorschriften nicht erfüllt, muss unter Aufsicht mühsam alle Pakete einzeln scannen – obwohl eine Gruppenscannung möglich ist. 

Für diese fragwürdige Disziplinierungsmaßnahme gibt es zumindest in Österreich einen Namen: CSI-Welle. CSI ist die Abkürzung des Scanners und LKWs kommen immer in “Wellen” im Lager an, das heißt, dass viele gleichzeitig ankommen und es dann plötzlich viel zu tun gibt. Aber in diesem Fall wird die Stress-Welle “künstlich” hergestellt.

Wer nicht krank ist, wird belohnt

Amazon bestraft nicht nur, sondern belohnt MitarbeiterInnen, die nicht in Krankenstand gehen. “Als Corona losging, haben sich viele aus Angst krankgemeldet. Deshalb bekamen MitarbeiterInnen zwei Euro mehr pro Stunde, die in die Arbeit kamen. Wer nie in Krankenstand geht, bekommt 2 bis 3 Prozent des Gehalts als Bonus. Manchmal gibt es auch einen zusätzlichen Bonus, wenn in einem ganzen Team niemand krank war, was natürlich großen Druck macht. Niemand will das schwarze Schaf sein, wegen dem dann alle diese Zahlung nicht bekommen”, berichtet Verena. Immerhin werden seit der Corona-Pandemie MitarbeiterInnen im Lagereingangsbereich auf Fieber gescannt.

Bedenkliche Sicherheitszustände in Amazon-Lager in Österreich

Während Verena im deutschen Logistikzentrum keine bedenklichen Sicherheitsmängel bemerkt hat, hatte die Gewerkschaft vor rund einem Jahr in Österreichs Amazon-Lager in Großebersdorfs diesbezüglich einiges zu bemängeln: Die Gänge und Zwischenräume zwischen Regalen waren zu knapp bemessen, die MitarbeiterInnen mussten auf engstem Raum arbeiten. Da die Regale nicht einmal am Boden angeschraubt waren, kam es zu Arbeitsunfällen. Immerhin sollen diese Zustände mittlerweile behoben sein.

Die Amazon-Firmenphilosophie: Hire and Fire

Als Verena im Logistikzentrum in Deutschland zu arbeiten begann, erlebte sie die Bedingungen als hart aber fair. “Es werden Gruppenleiter mit verschiedenen Muttersprachen ausgebildet, damit eben Menschen dort arbeiten können, die gar kein Deutsch verstehen”, erklärt sie. Und wer sich ins Zeug legt, kann auch schnell aufsteigen. “Ein 19-jähriger mit türkischen Wurzeln, der zunächst nur LKWs entlud, war binnen wenigen Monaten plötzlich Instruktor,” erzählt Verena. Der Stundenlohn für LagerarbeiterInnen beträgt 11,81 Euro – das ist immerhin mehr, als etwa der Schlachthofbetrieb Tönnies bezahlt, der in der Nähe angesiedelt ist und von dem Amazon viele MitarbeiterInnen abwirbt. 

Verena selbst wurde gekündigt – eine Woche nachdem sie sich wegen sexueller Belästigung beschwert hatte. Das Gespräch erfolgte mit der Personalabteilung und jemandem vom Betriebsrat – das ist das übliche Prozedere in so einem Fall. Amazon meinte MOMENT gegenüber, dass solche Fälle ernst genommen werden und es „null Toleranz“ bei sexueller Belästigung gibt. Warum in diesem Fall das Opfer und nicht der Täter gekündigt wurde, könne nicht überprüft werden. “Ich dachte bis dahin immer, dass Amazon hart aber fair ist. Angeblich hatte meine Kündigung nichts mit der Beschwerde zu tun. Aber eigenartig ist das schon, denn mir wurde kein wirklicher Grund für meine Kündigung genannt”, meint Verena.

Amazon streitet alle Vorwürfe ab

MOMENT hat Amazon mit all diesen Informationen konfrontiert. Amazon erbat sich mehr als einen Tag Zeit, um unsere Fragen zu beantworten. Diese Bitte schien uns nachvollziehbar, wir haben den Artikel deshalb verzögert. Die Antwort blieb dann aber allgemein. Der Online-Riese meint, unsere Informationen zu den einzelnen Fällen genügen nicht, um die Richtigkeit prüfen zu können. Das ist möglich, da wir natürlich die Identität unserer InformantInnen nicht preisgeben und Anfragen allgemein halten müssen. 

Amazon streitet die im Text erwähnten Vorwürfe in pauschaler Weise ab und erklärt. “Tatsache ist, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Amazon bereits von exzellenten Löhne, exzellenten Zusatzleistungen und exzellenten Karrierechancen profitieren – und das alles in einer sicheren, modernen Arbeitsumgebung,” heißt es in einer Mail. Außerdem würde regelmäßig überprüft werden, ob auch Subfirmen und LieferantInnen den Verhaltenskodex des Unternehmens einhalten würden. “Diese Behauptungen spiegeln nicht die Realität für Tausende von Menschen wider, die entweder in einem unserer Logistikgebäude arbeiten, oder bei unseren kleinen und mittelständigen unabhängigen Lieferpartnern beschäftigt sind”, sagt das Unternehmen.

Amazon beantwortete aber auch zumutbare Fragen nicht. Etwa: “Wie viele MitarbeiterInnen in Österreich kommen von Leihfirmen? Wie viele sind direkt bei Amazon angestellt?”. Oder: “Wie wird die Gesundheit der Amazon-MitarbeiterInnen sichergestellt, vor allem in Corona Zeiten?”. Oder: “Stimmt es, dass es bei Fehlverhalten ein Bestrafungssystem gibt und Pakete dann einzeln gescannt werden müssen? Was wird als Fehlverhalten gewertet?” Oder: “Stimmt es, dass Amazon Quoten bezüglich Arbeitsleistung verlangt? Wenn ja, wie sehen diese aus?”.

*Alle Namen von der Redaktion geändert

 
 

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