Vortrag und Podiumsdiskussion: Sehnsucht nach der k.u.k.-Zeit. Vielfalt und Grenzen ein Jahrhundert nach 1918

Impulsvortrag: Martin Haidinger (Wien)

Teilnehmer: Martin Haidinger (Wien), Dr. Jana Osterkamp (München), Professor Dr. Steffen Höhne (Weimar), Bernard Gaida (Guttentag/Polen)

Moderation: Junior-Professorin Dr. Maren Röger (Augsburg)

Dienstag, 21. Juli 2020, 19.00 Uhr

Adalbert-Stifter-Saal im Kulturforum des Sudetendeutschen Hauses
Hochstraße 8, 81669 München

Video der aufgezeichneten Veranstaltung

Ein Jahrhundert nach dem Zerfall der k.-u.-k.-Monarchie erlebt sie als Mythos eine Wiedergeburt. Im Kontext der aktuellen Debatten über Grenzen und Diversität in den Nationalstaaten und in der EU gilt die Donaumonarchie oft als Vorbild für den Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt und Heterogenität, mit Multikulturalität, Mehrsprachigkeit, Multiethnizität und Multireligiosität, für ein freies und friedliches Zusammenleben vieler Völker und Konfessionen in einem Staatsgefüge, mit politischer Einbindung von Minderheiten auf zentraler und lokaler Ebene, in Verbindung mit einer Supranationalität der Eliten. Vergessen scheint, dass einst Kritiker der Donaumonarchie mangelnden Reformwillen, Bürokratismus, die ungelöste Nationalitätenfrage sowie eine Unterdrückung der Völker (die k.u.k.-Monarchie als „Völkerkerker“) vorwarfen und darin eine der Voraussetzungen für ihren Zerfall sahen.

Was aber steckt hinter der neuen „Sehnsucht nach der k.u.k.-Zeit“? Inwiefern kann die k.-u.-k.-Monarchie unter den aktuellen europa- und weltpolitischen Rahmenbedingungen tatsächlich ein Vorbild für ein übernationales Europa sein? Was kann man von der politischen Verwaltung der Vielfalt in der Donaumonarchie, ihren politischen Praktiken der Loyalitätssicherung, bei nationalen und regionalen politischen Eliten, bei der Verteilung der legislativen, exekutiven und judikativen Kompetenzen zwischen übernationalen und national-regionalen Strukturen lernen? Dieser und weiterer Fragen nehmen sich der Vortragende und die Teilnehmer der Podiumsdiskussion an.

Martin Haidinger (geb. 1969 in Wien) ist ein österreichischer Historiker und Journalist. Er arbeitet u.a. im Auftrag des Österreichischen Rundfunks, des Deutschlandradios beziehungsweise des Deutschlandfunks. Darüber hinaus ist er als Kabarettist, vor allem als die Kunstfigur „Herr Martin“ („Café Sonntag“ auf Ö1), bekannt. Von Martin Haidinger liegen u.a. vor: (als Co-Autor), Siebenbürgen. Sagenhaftes Land im Karpatenbogen (1996); Österreichs heimliche Hauptstädte. Flair und Mythos der bedeutenden k. u. k. Metropolen (2014); (als Co-Autor), Der Wiener Kongress. Jahrhundertspektakel zur Machtverteilung (2014); Franz Josephs Land. Eine kleine Geschichte Österreichs (2016); Jedermanns Land. Österreichs Reise in die Gegenwart (2018); sowie der Beststeller „Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann“ (2009). 2010 wurde Martin Haidinger mit dem österreichischen Staatspreis für Wissenschaftspublizistik ausgezeichnet.

Dr. Jana Osterkamp (geb. 1977) ist Leiterin der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Vielfalt ordnen. Föderalismusvorstellungen in der Habsburgermonarchie und ihren Nachfolgestaaten“ am Collegium Carolinum München sowie Lehrbeauftragte an der LMU München und an der Universität Wien. Seit 2018 leitet sie (zus. mit Peter Becker) die D-A-CH Forschergruppe (DFG/FWF Österreichischer Wissenschaftsfonds) „Der Schreibtisch des Kaisers: Ort der Politik und Entscheidung in der Habsburgermonarchie? Franz Joseph I und dessen Kabinettskanzlei“. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen gehören u.a.: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Tschechoslowakei (1920-1939). Verfassungsidee – Demokratieverständnis – Nationalitätenproblem (2009); (als Mithrsg.), Sozialistische Staatlichkeit (2012); (als Mithrsg.), Exploring Loyalty (2017); (als Hrsg.), Kooperatives Imperium. Politische Zusammenarbeit in der späten Habsburgermonarchie (2018).

Professor Dr. Steffen Höhne ist seit 2000 Professor für Kulturmanagement am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena. Steffen Höhne hatte zahlreicheGastprofessuren inne, darunter in Oxford/Mississippi, an der Karls-Universität Prag und der Université d’Evry Val d’Esonne/Paris. Er ist Gründungsvorsitzender des Fachverbandes für Kulturmanagement, stellvertretender Vorsitzender des Collegium Carolinum München und Präsident des Herder-Forschungsrats Marburg. Von Steffen Höhne liegen u.a. vor: Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Ersten Tschechoslowakischen Republik (2001); Öffentliche Diskurse um Nationalität und Ethnizität im Spannungsfeld von böhmischem Landespatriotismus und nationaler Desintegration (2000); (als Mithrsg.), Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder (2017); (als Hrsg.), Kulturpolitik in Ostmitteleuropa (2019).

Bernard Gaida (geb. 1958 in Guttentag/Polen) ist ein Politiker der deutschen Minderheit in Polen. Seit 2009 ist er Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VDG), seit 2016 Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (ADGM). 2011 erhielt Bernard Gaida das Silberne Verdienstkreuz der Republik Polen, 2015 das Bundesverdienstkreuz.

Junior-Professorin Dr. Maren Röger ist seit 2015 Juniorprofessorin für „Transnationale Wechselbeziehungen. Deutschland und das östliche Europa“ und seit 2017 Geschäftsführerin des Bukowina-Instituts an der Universität Augsburg. Von Maren Röger liegen u.a. vor: Flucht, Vertreibung und Umsiedlung. Mediale Erinnerungen und Debatten in Deutschland und Polen seit 1989 (2011); (als Mithrsg.), Women and Men at War – A Gender Perspective on World War II and its Aftermath in Central and Eastern Europe (2012); Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945 (2015); (als Mithrsg.), Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Ein Handbuch der Medien und Praktiken (2015); (als Mithrsg.), Bukovina and Bukovinians after 1945: (Re)shaping and (re)thinking a region after genocide and ‚ethnic unmixing‘ (2019).