Klage wegen Kohleausstieg : Die zwei Gesichter von RWE
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Zankapfel zwischen RWE und der Regierung in Den Haag: Das 2015 in Betrieb genommene Kohle- und Biomassekraftwerk Eemshaven. Bild: dpa
Der Energiekonzern aus Essen will 2040 klimaneutral sein, verklagt die Niederlande aber wegen des Kohleausstiegs vor einem Schiedsgericht. Wie passt das zusammen?
Wer den Klimawandel mit politischen Mitteln eindämmen will, muss mit Gegenwind rechnen. Die Erfahrung muss die geschäftsführende Regierung in Den Haag gerade mit dem deutschen Energiekonzern RWE machen: Das Unternehmen aus Essen will eine Entschädigung für den in den Niederlanden beschlossenen Kohleausstieg zum Jahr 2030.
Pikanterweise bemüht sich RWE selbst um einen „grünen Anstrich“ und verfolgt eigene Klimapläne. Der Konzernumbau hin zur deutlichen Ausweitung der Ökostromkapazitäten wird vorangetrieben. Bis 2040, so die vollmundige Ansage aus Essen, will man klimaneutral sein. In der Gegenwart geht es dem Stromerzeuger und einer niederländischen Tochtergesellschaft, die das Steinkohle- und Biomassekraftwerk Eemshaven in der Region Groningen betreibt, aber um Planungssicherheit – und viel Geld.
Eingriff in Eigentum
Mit ihrer Klage vor dem Schiedsgericht der Weltbankgruppe (ICSID) in Washington verlangen sie von den Niederlanden Entschädigung für die geplante Abschaltung von „Eemshaven“. Die Baukosten für das 2015 in Betrieb genommen 1,56-Gigawatt-Kraftwerk beliefen sich auf mehr als 3 Milliarden Euro, hohe Investitionskosten, die RWE ohne öffentlicher Nennung einer genauen Forderung, ersetzt haben will. „Anders als das deutsche Kohleausstiegsgesetz sieht das niederländische Gesetz für diesen Eingriff in das Eigentum der Unternehmen keine adäquate Kompensation vor“, heißt es in einer Stellungnahme. „Wir sehen dies als rechtswidrig an.“ Als ausländischer Investor kann sich RWE auf die Verletzung der „Energiecharta“ berufen, einem völkerrechtlichen Vertrag, den neben Deutschland auch die Niederlande unterzeichnet haben.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Den Haag ist es das erste Mal, dass ein Unternehmen den niederländischen Staat vor dem ICSID-Schiedsgericht verklagt. Die Niederlande wollen ihre Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um knapp die Hälfte gegenüber dem Niveau von 1990 senken. Kohleverfeuerung ist von eben jenem Jahr an verboten; das war vom Vier-Parteien-Kabinett unter Führung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte 2019 beschlossen und vom Parlament gebilligt worden. Damals waren im Land noch fünf Kohlekraftwerke in Betrieb, als größtes davon Eemshaven.
Den Haag sieht sich im Recht
Die Kraftwerke dürfen weiter betrieben werden – müssen aber bis Ende 2029 auf andere Brennstoffe wie Biomasse umgestellt werden. Die Regierung hat das immer betont, um darzulegen, dass es ja nicht um eine erzwungene Schließung der Kraftwerke gehe. Im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends hatte die damalige Regierung den Bau von Kohlekraftwerken noch befördert – in der Annahme, man würde das Kohlendioxid im Untergrund lagern.
Der von RWE geforderte Betrag von 1,4 Milliarden Euro („ohne Zinsen“) geht aus einem Brief hervor, den der geschäftsführende Wirtschaftsminister Bas van´t Wout – der wie Rutte der rechtsliberalen VVD angehört – an die Zweite Kammer schrieb. „Der niederländische Staat bereitet sich darauf vor, diese internationale Schlichtungsprozedur auszutragen“, heißt es darin. Der Wirtschaftsminister macht geltend, das Kabinett sei RWE und den Eignern der anderen Kohlekraftwerke, Uniper und Riverstone, genügend entgegengekommen.
In einem Gespräch mit RWE Ende Dezember ließ das Ministerium nach eigenen Angaben wissen, dass die relevanten Bestimmungen des Gesetzes auf die Vereinbarkeit mit internationalem und europäischem Recht geprüft worden sei. Ergebnis: Es sei konform. Den Haag argumentiert: Die Eigentümer mussten die Möglichkeit vor Augen haben, dass der Staat auf lange Sicht Maßnahmen zur CO2-Ausstoßsenkung ergreifen würde; das Gesetz verbiete nur Kohle als Brennstoff; und es gewähre eine ausreichende Übergangsperiode von zehn Jahren ab Inkrafttreten des Gesetzes im Dezember 2019.
Aus dem RWE-Konzern heißt es dazu, dass man die Energiewende in den Niederlanden und die damit verbundenen Maßnahmen zur CO2-Reduktion „ausdrücklich“ unterstützte. Dennoch sieht man sich offenkundig zur Klage gezwungen. Die oppositionellen Grünen sprechen schon von einer „schamloser Behinderung“ der niederländischen Klimapolitik. Ihr Abgeordneter Tom van der Lee forderte eine Anhörung des RWE-Vorstandsvorsitzenden vor dem Wirtschaft- und Klimakomitee der Zweiten Kammer und hat dafür nach eigenen Angaben auch Unterstützung anderer Fraktionen gesammelt, auch aus der Regierungskoalition.
Ein vergleichbares Vorgehen wäre in Deutschland nicht möglich, weil sich RWE hier als nationales Unternehmen nicht auf die Energiecharta berufen kann. In dem Kohlenkonsens, nach dem der Ausstieg spätestens 2038 abgeschlossen sein muss, können sich Stromerzeuger in mehreren Runden um Entschädigungen für das vorzeitige Abschalten ihrer Steinkohlekraftwerken bewerben. RWE erhielt in der ersten Runde für zwei vom Netz gegangenen Kraftwerke 216 Millionen Euro. Auch Uniper, das seit März 2020 zum finnischen Fortum-Konzern gehört, war für ein Kraftwerk entschädigt worden.
Uniper setzt auf Verhandlungen
Der Düsseldorfer Stromversorger hatte sich ebenfalls auf ein Schiedsverfahren gegen die Niederlanden vorbereitet. In der Nähe von Rotterdam betreibt Uniper das Kohlekraftwerk „Maasvlakte“. Die erst 2016 für angeblich mehr als 1,5 Milliarden Euro errichtete Anlage ist auf eine Nutzungsdauer von vierzig Jahren ausgelegt. Technisch ist sie ein Schwestermodell des Meilers Datteln 4, der 2019 ans Netz gegangen war und trotz des deutschen Kohleausstiegs noch bis in die dreißiger Jahre Strom produzieren soll.
Der Konzern setzt auf Verhandlungen mit der geschäftsführenden Regierung in Den Haag, hält die Forderung nach Kompensationen aber weiter aufrecht. „Uniper und der niederländische Staat befinden sich in konstruktiven Gesprächen über die Perspektive des Uniper-Standortes Maasvlakte“, sagt ein Konzernsprecher. Zum Inhalt und aktuellen Stand der Gespräche wollte er sich nicht äußern.