Cradle

Vom Schädling zum Nützling

von Julia Schmitz 4. März 2021

Der Verein „Cradle to Cradle“ setzt sich für eine radikale Kreislaufwirtschaft ein und hat einen Plattenbau in Prenzlauer Berg saniert, ohne Müll zu erzeugen. Wie geht das?


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Umweltschutz & Nachhaltigkeit“


„Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare“, lautet ein Witz über die deutsche Bürokratie. Lässt man die Formulare weg, passt der Spruch auch auf unsere Wirtschaft: Produkte werden in vielen Fällen für eine begrenzte Nutzungsdauer hergestellt, nach der sie den Geist aufgeben und in den Müll wandern. Rund 853 000 Tonnen Elektronikschrott wurden laut Statistischem Bundesamt 2018 allein in Deutschland in den Sammelstellen abgegeben, pro Kopf fallen jährlich außerdem durchschnittlich 68 Kilogramm Verpackungsmüll an. Was kann man tun, um das zu ändern?

Im Unverpackt-Laden einkaufen, Kleidung tauschen, Sachen reparieren und Verpackungen recyclen sind nachhaltige Maßnahmen, die jede*r Einzelne mit wenig Aufwand in den Alltag integrieren kann. Doch um das Problem weltweit an der Wurzel zu packen, muss man größer denken, ist der Verein „Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege“ aus Prenzlauer Berg überzeugt: „Das Konzept ‚Cradle to Cradle‘ stellt die Frage, wie wir die Welt und sämtliche Produkte neu denken müssen, damit wir die Ressourcen der Erde nicht länger verschwenden. Denn wir haben nicht nur ein Klimaproblem, auch unsere Ressourcen gehen zur Neige; und Müll entsteht, weil wir darüber hinaus nicht sehr intelligent mit ihnen umgehen“, so Lorena Zangl, Leiterin im Referat Städte und Kommunen.
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Die Küche im C2C Lab vor der Sanierung / © Cradle to Cradle NGO

Dabei geht es dem 2012 gegründeten gemeinnützigen Verein aber nicht darum, mit Verboten zu arbeiten oder die Menschen zu einem Verzicht zu zwingen: „Das funktioniert aus unserer Sicht auch auf globaler Ebene gar nicht. C2C bedeutet, die Menschen nicht als Schädlinge zu sehen, sondern zu überlegen, wie sie Nützlinge werden können.“ Erreicht werden soll das durch eine Kreislaufwirtschaft, auf die jedes Produkt und jedes Material vor dem Einsatz abgeklopft wird: Ist es biologisch abbaubar oder kann es, bei gleichbleibender Qualität, immer wieder genutzt werden? Ist es frei von Schadstoffen, die Mensch und Umwelt gefährlich werden könnten?

Weil sich die Politik in Deutschland – anders als in den Niederlanden, wo das C2C-Prinzip bereits etabliert ist – diesbezüglich noch eher zögerlich verhält, wollten die Gründer*innen Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen ein Exempel statuieren: 2019 begannen sie damit, die 400 Quadratmeter umfassenden Räume einer ehemaligen Apotheke in einem Plattenbau auf der Landsberger Allee zu sanieren – und zwar ausschließlich nach „Cradle to Cradle“-Kriterien.

Betritt man das fast fertiggestellte C2C Lab heute, unterscheidet es sich zunächst kaum von einem normalen Berliner Startup: In den Büros stehen Schreibtische aus Holz und ergonomische Stühle, in der Gemeinschaftsküche blinkt eine schicke Kaffeemaschine, Topfpflanzen sorgen für ein gutes Raumklima. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail: Alle Rohre und Leisten, der Bodenbelag und sogar die Fenster lassen sich zurückbauen, ohne dass Reste oder Abfall zurückbleiben; der Teppich filtert Feinstaub, die Wände im WC sind mit schadstofffreier Lehmfarbe gestrichen.

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Nach der Sanierung / © Cradle to Cradle NGO

„Cradle to Cradle fragt, wie Mobilität und Infrastruktur aussehen können, wie Wasser, Strom und Lebensmittel zu uns kommen, welche Kleidung wir tragen und welche Kosmetik wir benutzen. Und es bedeutet auch, Gebäude von innen und außen so zu gestalten, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt haben, sondern möglichst positive“, sagt Lorena Zangl. Zwar wären dadurch die Kosten bei einem Neubau oder einer Sanierung am Anfang höher, es würde sich jedoch auf längere Sicht rechnen, zum Beispiel – bei einem Bürogebäude – durch einen niedrigeren Krankenstand der Mitarbeiter.

Einen positiven Effekt, den auch Pankows Politiker*innen erkannt haben. Nach einer Diskussionsrunde im neu gegründeten Klimaausschuss im Januar beschlossen sie in der jüngsten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) fast einstimmig, dem Netzwerk des Vereins beizutreten und ein Pilotprojekt „in einer bezirklichen Hochbaumaßnahme“ umzusetzen; zunächst muss aber ein geeignetes Bauprojekt dafür gefunden werden. Auch sollen zukünftig alle Neuanschaffungen im Bezirk auf ihre Kreislauffähigkeit hin geprüft werden.

„Wir glauben, dass jeder Mensch in der Gesellschaft seinen Teil zum Umweltschutz beitragen muss. Wir glauben aber vor allem, dass wir politische Rahmenbedingungen brauchen, um Unternehmen einen Anreiz zu geben, weniger schlechte Qualität zu produzieren“, ist Zangl überzeugt. Für den Verein ist die Entscheidung Pankows deshalb ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung – und ein Vorbild, dem weitere Berliner Bezirke folgen könnten.

 

Titelbild: Tim Janßen und Nora Sophie Griefahn / © Cradle to Cradle NGO

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