Human Rights Watch: Israel begeht «Verbrechen der Apartheid»

09.05.2021

Categories: Apartheid und Siedlungskolonialismus

Die NGO Human Rights Watch (HRW) fordert den Internationalen Strafgerichtshof auf, Israels «systematische Diskriminierung» der Palästinenser*innen zu untersuchen. Die israelische Regierung verfolge eine umfassende Politik, um «die Dominanz jüdischer Israelis über Palästinenser aufrechtzuerhalten».

In einem Bericht, der am 27. April 2021 veröffentlicht wurde, beschreibt HRW die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen als Apartheid. Laut Omar Shakir, dem verantwortlichen Direktor von HRW für Israel und Palästina, ist dies die «schwerwiegendste Schlussfolgerung, die HRW in den 30 Jahren, in denen wir Missstände vor Ort dokumentieren, über Israels Verhalten gezogen hat.»

Der Bericht basiert auf der jahrelangen Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen sowie einer Analyse israelischer Gesetze, staatlicher Planungsunterlagen und Aussagen von Beamt*innen.

Human Rights Watch verglich die Politik und die Praktiken gegenüber den fast 7 Millionen Palästinenser*innen im besetzten palästinensischen Gebiet und Israel mit denen, die für die ähnliche Anzahl jüdischer Israelis gelten, die in denselben Gebieten leben.

Die NGO kam zum Schluss, dass es eine «gegenwärtige Realität einer einzigen Autorität – der israelischen Regierung – […] gibt, die systematisch jüdische Israelis privilegiert, während sie Palästinenser*innen unterdrückt, am stärksten im besetzten Gebiet.»

Mit diesem Bericht ist HRW die erste grosse internationale Menschenrechtsorganisation, die offiziell den Begriff «Apartheid» auf die israelische Politik anwendet.

Seit dem Kampf gegen die systematische rassistische Segregation von nicht-weissen Bürger*innen in Südafrika, ist Apartheid («Trennung» auf Afrikaans) im Völkerrecht klar als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert.

Nach dem Römischen Statut von 1998, mit dem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) geschaffen wurde, ist Apartheid definiert als «unmenschliche Handlungen […], die von einer rassischen Gruppe im Zu­sammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhal­ten».

HRW zeigt im Bericht auf, dass in Israel – wo etwa ein Fünftel der 9 Millionen Bürger Palästinenser*innen sind – und im besetzten Gebiet die Behörden versuchen, den Grossteil des Landes jüdischen Gemeinden zuzuteilen und die palästinensische Bevölkerung in dichten Bevölkerungszentren zu konzentrieren.

«Die Behörden haben Massnahmen ergriffen, um dem entgegenzuwirken, was sie offen als demographische ‹Bedrohung›durch die Palästinenser*innen bezeichnen», so der Bericht, der sich auf die von israelischen Politiker*innen geäusserten Bedenken bezieht, dass eine palästinensische Bevölkerungsmehrheit den jüdischen Staat gefährden würde. «In Jerusalem zum Beispiel setzt der Plan der Regierung für die Gemeinde (...) das Ziel, ‹eine solide jüdische Mehrheit in der Stadt aufrechtzuerhalten›und spezifiziert sogar die demographischen Verhältnisse, die sie zu erhalten hofft.»

Dem Bericht zufolge «praktizieren die israelischen Behörden eine systematische Diskriminierung von Palästinenser*innen.» Am extremsten ist diese Diskriminierung im besetzten Gebiet, insbesondere im Westjordanland, das Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert hat. Mehrere hunderttausend israelische Siedler*innen leben dort heute als israelische Bürger*innen, während etwa 2,7 Millionen Palästinenser*innen keine Bürger*innenrechte und unter dem Joch der Armee leben.

Laut Kenneth Roth, Exekutivdirektor von HRW, handelt es sich nicht einfach um eine «unrechtmässige Besatzung». «Diese Politik, die jüdischen Israelis die gleichen Rechte und Privilegien einräumt, wo immer sie leben, und Palästinenser*innen abhängig von ihrem Wohnort in unterschiedlichem Masse diskriminiert, widerspiegelt eine Politik der Privilegierung eines Volkes gegenüber einem anderen», erklärt Roth.

Das israelische Aussenministerium reagierte schon vor der Veröffentlichung des Berichts und bezeichnete diesen gegenüber der Medienagentur AFP als «Propagandatext» ohne Bezug «zu den Fakten oder der Wahrheit vor Ort». Der Bericht sei geschrieben von einer Organisation, die «seit langem von einer Anti-Israel-Agenda» angetrieben werde. «Die fiktiven Behauptungen, die HRW ausgeheckt hat, sind sowohl absurd als auch falsch», fügte er an und sagte, die Gruppe versuche seit Jahren, «den Boykott Israels voranzutreiben.»

Wie immer reagiert der israelische Staat empfindlich, wenn er beschuldigt wird, die palästinensischen Bürger*innen des Landes zu diskriminieren, und verweist dabei auf Gleichberechtigungsgesetze und die Tatsache, dass «Araber*innen» in der Regierung und der Justiz vertreten sind.

In Bezug auf das besetzte Westjordanland beruft sich Israel als Verteidigung auf Abkommen aus den 1990er Jahren, die den Palästinensern*innen eine begrenzte Autonomie in diesem Gebiet gewähren. HRW weist jedoch darauf hin, dass die israelische Regierung «die Hauptkontrolle über viele Aspekte» des Lebens der dortigen palästinensischen Bevölkerung behält, und unter anderem die Grenzen, die natürlichen Ressourcen und die Bewegung von Menschen und Gütern kontrolliert.

Ähnlich kontrolliert das israelische Regime die Leben von zwei Millionen Palästinenser*innen, die unter einer strengen Blockade in Gaza leben. Die israelischen Streitkräfte haben sich zwar 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen, behalten aber weiterhin die Kontrolle über dessen Grenzen, Gewässer und Luftraum.

Der Bericht folgt ähnlichen Erkenntnissen israelischer Menschenrechtsorganisationen, einschliesslich der Erklärung von B'Tselem im Januar 2021, dass Israel keine Demokratie, sondern ein «Apartheid-Regime» sei. Eine andere israelische Gruppe, Yesh Din, veröffentlichte im Sommer 2020 ein Rechtsgutachten, das besagt, dass Israel im Westjordanland das Verbrechen der Apartheid praktiziere. Israel hat auch diese Behauptungen entschieden zurückgewiesen.

HRW forderte die IStGH-Ankläger*innen auf, «Untersuchungen und strafrechtliche Verfolgung gegen die Verantwortlichen einzuleiten» und verlangte Sanktionen, einschliesslich Reiseverbote gegen die verantwortlichen israelischen Beamt*innen und Politiker*innen – jedoch ohne diese namentlich zu nennen.

 

Quellen:

  • https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/israel/palestine
  • https://www.theguardian.com/world/2021/apr/27/israel-committing-crime-apartheid-human-rights-watch

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