Eine Frau füllt eine Injektion
AP/Mary Altaffer
CoV-Impfung

USA für Aussetzen von Patenten

Die USA unterstützen ein Aussetzen des Patentschutzes für Coronavirus-Impfstoffe. Die Pandemie verlange „außergewöhnliche Maßnahmen“, so die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Die US-Regierung glaube zwar fest an den Schutz geistigen Eigentums. Sie werde sich aber bei der Welthandelsorganisation (WTO) für eine Ausnahmeregelung einsetzen. Bis zu einer möglichen Einigung könnten trotzdem Monate vergehen, harte Verhandlungen stehen bevor.

„Das Ziel der Regierung ist es, möglichst viele Menschen so schnell wie möglich mit sicheren und wirksamen Impfstoffen zu versorgen“, sagte Tai am Mittwoch. NGOs und ärmere Länder fordern seit Monaten eine solche vorübergehende Ausnahmeregelung, damit die weltweite Produktion von Coronavirus-Impfstoff angekurbelt werden kann. Das wurde von Industrienationen, in denen die großen Pharmakonzerne ansässig sind, bisher aber abgelehnt.

Tai sagte nun, die USA würden sich im Rahmen der WTO für die Erstellung eines Abkommens zum Aussetzen der Patente einsetzen. Wegen des Konsensprinzips der WTO und der Komplexität der Materie könnte das aber zeitaufwendig werden, warnte sie. Im Gespräch mit Reuters rechnete der ehemalige US-WTO-Vertreter Clete Willems mit mindestens ein-, zweimonatigen Verhandlungen. Er stellte sogar eine Einigung erst im November in den Raum. Zudem wird befürchtet, dass ein Minimalkonsens herauskommen könnte.

US-Handelsbeauftragte Katherine Tai
AP/Sarah Silbiger
Handelsbeauftragte Tai verkündete die US-Kehrtwende in der Patentfrage

Trotzdem kommt den USA bei den Verhandlungen als weltgrößter Volkswirtschaft eine Schlüsselrolle zu, der Druck auf andere Nationen und die EU dürfte steigen. Die Union teilte bereits am Donnerstag mit, man sei bereit, über einen entsprechenden Vorschlag der USA zu diskutieren. „Kurzfristig rufen wir jedoch alle impfstoffproduzierenden Länder dazu auf, Exporte zuzulassen“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in einer Videobotschaft.

Zudem hält die US-Regierung laut Medienberichten über das Forschungsinstitut NIH die Rechte an einer Erfindung, die als Voraussetzung der modernen mRNA-Impfstoffe der Hersteller Moderna sowie Biontech und Pfizer gilt.

Vorstoß Indiens und Südafrikas

Mehr als 100 WTO-Mitgliedsländer wollen die Patente aussetzen, damit mehr Firmen in mehr Staaten Impfstoffe herstellen können. Wichtige Herkunftsländer der Pharmaindustrie wie auch die USA blockierten das von Südafrika und Indien angestoßene Vorhaben bisher. Ärmere Staaten werfen den Industrieländern vor, die vorhandene Impfstoffproduktion aufgekauft zu haben und eine Erhöhung der Produktion durch den Schutz der Patente unmöglich zu machen.

Der Kursschwenk der US-Regierung dürfte nicht kurzfristig zu mehr weltweit verfügbarem Impfstoff führen. Sollte sich die WTO aber auf ein Sistieren der Patente einigen, könnte das die langfristige Produktion deutlich ankurbeln. Tai sagte zudem, die US-Regierung werde sich nun, da die Versorgung der eigenen Bevölkerung garantiert sei, weiter dafür einsetzen, die Produktion anzukurbeln.

WHO-Chefin optimistisch

Konkret geht es bei dem Streit in der WTO in Genf um das Übereinkommen zu handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen). Mit diesen und anderen Vereinbarungen will die WTO den freien Handel in geordnete Bahnen regeln. Vor der Ankündigung der USA rief WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala die Mitgliedsstaaten auf, sich der Dringlichkeit der Frage der gerechten Verteilung von Impfstoff bewusst zu werden. Die Frage sei „entscheidend“.

USA fordern Aussetzen von Impfpatenten in Pandemie

Die USA vollziehen im Kampf um die Eindämmung der Pandemie einen Kursschwenk: Wie zahlreiche andere Staaten und Hilfsorganisationen fordert jetzt auch die Regierung von Präsident Joes Biden die Aussetzung von Patenten für CoV-Impfstoffe. Damit soll die weltweite Impfstoffproduktion angekurbelt werden.

Nach Angaben eines WTO-Sprechers gab es bisher „sehr konstruktive“ Gespräche. Indien und Südafrika hätten angekündigt, ihren Vorschlag dafür „zu überarbeiten“ und in der kommenden Woche einen möglichen Kompromisstext vorzulegen. Das wurde von Okonjo-Iweala begrüßt: „Ich bin fest überzeugt: Wenn wir einmal alle mit einem konkreten Text vor uns zusammensitzen, dann werden wir einen pragmatischen und für alle Seiten akzeptablen Weg finden.“

Pharmabranche mit Warnungen

Die Vertretung der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) kritisierte die Entscheidung der Regierung als „beispiellosen Schritt, der unseren globalen Kampf gegen die Pandemie untergräbt“. Das Vorgehen werde keine Leben retten, sondern die Lieferketten der Hersteller weiter schwächen und zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen, warnte Verbandschef Stephen Ubl. Aktien der Impfstoffhersteller Pfizer, Moderna und Novavax brachen nach Tais Ankündigung teils deutlich ein.

Hersteller wie Pfizer und Moderna machen mit ihren Impfstoffen bereits satte Gewinne. Sie argumentieren, dass Patente nötig seien, um die hohen Investitionen der Forschung zu refinanzieren. Zudem führe eine Aufhebung der Patente nicht automatisch zu mehr Impfstoff. Sämtliche qualifizierten Hersteller seien bereits mit Lizenzen in die Produktion eingebunden, heißt es.

Zudem sei vor allem die Produktion der mRNA-Impfstoffe sehr komplex. Sie argumentieren auch, dass für ein Ankurbeln der Produktion derzeit viele Rohstoffe fehlten, die für die Herstellung nötig seien. Weil derzeit bereits ein Vielfaches der normalen Impfstoffproduktion erfolge, gebe es viele Lieferengpässe. Auch der internationale Pharmaverband IFPMA sprach am Mittwoch von einer „enttäuschenden“ Entscheidung.

EU will primär rasche Lieferung

Auch die EU-Kommission hatte bisher vor allem auf die Komplexität der Produktion verwiesen. Selbst nach Aufhebung des Patentschutzes würde es noch mindestens ein Jahr dauern, bis andere Firmen tatsächlich produzieren könnten, sagte Industriekommissar Thierry Breton noch am Montag. Zunächst müsse es Priorität haben, „alle bestellten Impfstoffe so schnell wie möglich zu liefern“.

Von der Leyen betonte am Donnerstag in ihrer online übertragenen Rede für eine Konferenz in Italien ebenfalls: „Um es klar zu sagen, Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im großen Maßstab erlaubt.“ Bisher seien mehr als 200 Millionen Dosen Coronavirus-Impfstoff in den Rest der Welt geliefert worden. Das sei fast so viel, wie hier in der EU verabreicht worden sei. Die EU sei die Apotheke der Welt.

WHO sieht „historische Entscheidung“

Begeistert zeigte sich hingegen der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. Er sprach von einer „historischen Entscheidung“. Hilfsorganisationen, darunter zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, hatten zuvor vehement ein Aussetzen der Patente gefordert. Auch bei Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen stieß die Ankündigung der USA auf Jubel.