So zahnlos sind die EU-Regeln gegen Steuertricks der Konzerne

Letzte Woche einigte sich die EU auf neue Regeln, nach denen multinationale Konzerne ihre Profite und Steuerzahlungen offenlegen sollen. Steuertricks sollen so nachvollziehbar werden und der politische Druck für Veränderungen steigen. Doch leider sind die Pläne zahnlos – die Steuertricks drohen im Dunkeln zu bleiben. Lisa Mittendrein und David Walch beantworten die wichtigsten Fragen zu den neuen EU-Plänen. 

Was hat die EU letzte Woche genau beschlossen? 

Die Regierungen, die Kommission und das Europäische Parlament verhandelten seit März 2021 über sogenannte „länderweise Berichte“ für Konzerne. Das ist an sich eine gute Sache. Große Konzerne sollen offenlegen, in welchen Ländern sie wieviel Gewinn machen und wieviel Gewinnsteuern bezahlen. NGOs wie Attac aber auch das EU-Parlament fordern das seit Jahren, doch einige EU-Regierungen wie etwa die österreichische blockierten das bis vor kurzem. Doch die gute Idee reicht nicht – die Details der neuen EU-Einigung sind leider sehr schwach.  

Wieso braucht es solche länderweisen Berichte?  

Bis heute weiß die Öffentlichkeit oftmals nicht, warum Konzerne in manchen Ländern nach eigenen Angaben kaum Profite „erwirtschaften“ und so keine Steuern zahlen. Der größte Krisengewinner Amazon etwa hat im Jahr 2020 für sein Europa-Geschäft in Luxemburg trotz eines neuen Rekordumsatzes von 44 Milliarden Euro offiziell keine Gewinne gemacht. Amazon hat sogar eine Steuergutschrift von 56 Millionen Euro erhalten! Wohin wurden die Profite also verschoben? Wir tappen im Dunkeln. 

Wie groß ist das Problem der Steuervermeidung wirklich? 

Nach Schätzungen gehen den Staaten durch die Steuertricks von Konzernen rund 500 Milliarden Dollar an öffentlichen Einnahmen verloren. Alleine Österreich verliert rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Dieses Geld fehlt für wichtige öffentliche Leistungen – oder Staaten müssen die Ausfälle durch höhere Lohn- und Massensteuern kompensieren. 

Und wieso wird da jetzt nur über Offenlegung diskutiert? Geht es nicht darum, dass Amazon, Starbucks und Co. endlich mehr Steuern zahlen? 

Ja, genau, das ist das politische Ziel. Öffentliche länderweise Berichte können aber mithelfen, das endlich durchzusetzen. Mit ihnen wären die Steuertricks von Amazon, Starbucks und Co. endlich öffentlich bekannt. Bisher wissen darüber nur die Steuerbehörden Bescheid, während Medien und die Zivilgesellschaft im Dunkeln tappen. Außerdem können öffentliche Berichte die Steuervermeidung sogar unmittelbar eindämmen. Eine Studie zeigt, dass sich der Steuerbeitrag von Banken, die zu mehr Transparenz verpflichtet wurden erhöht hat – vor allem dann wenn sie in Steuersümpfen aktiv sind. 

Bringen die neuen EU-Pläne jetzt endlich Licht ins Dunkel? 

Leider nein – es ist eine vergebene Chance. Die EU-Einigung hat zwei große Schwachstellen: Erstens müssen Konzerne nur Daten zu Steuern und Gewinnen innerhalb der EU und in einigen wenigen anderen Ländern den offiziellen „Steueroasen-Listen“ der EU veröffentlichen. Alle übrigen weltweiten Konzern-Aktivitäten blieben völlig undurchsichtig. Viele Gebiete, die Konzerne oft für ihre Steuertricks nutzen, wie etwa die Schweiz, die Britischen Jungferninseln, die Kaimaninseln und Bermuda bleiben ausgespart. Die Konzerne können also weiter unbehelligt ihre Profite dorthin verschieben. 

Was sind denn das für „Steueroasen-Listen“? Wieso stehen die wichtigsten Steuersümpfe da nicht drauf? 

Außer für die EU müssen die Daten für Konzern-Niederlassungen in aktuell 21 Ländern auf der grauen und schwarzen EU-Liste veröffentlicht werden – und auch das nur, wenn Länder zwei Jahre hintereinander dort draufstehen. Doch diese Listen sind das Ergebnis eines politischen und diplomatischen Kuhhandels. Sie enthalten für Steuervermeidung großteils irrelevante Staaten, während wichtige Steuersümpfe inner- und außerhalb der EU fehlen. Außerdem werden diese Listen laufend überarbeitet – und bis die EU eine solche Überarbeitung abschließt, können Profite bereits in das nächste Land verlagert werden. 

Warum werden nur so wenige Länder erfasst? Wäre es nicht besser, wenn die Konzerne ihre Profite und Steuern überall offenlegen müssen? 

Das wäre nicht nur besser, sondern unbedingt nötig! Steuergerechtigkeitsgruppen fordern schon lange eine weltweite, nach allen Ländern aufgeschlüsselte, Berichtspflicht der Konzerne. Auch das EU-Parlament wollte das zu Beginn der Verhandlungen, hat sich dann aber auf einen raschen und schwachen Kompromiss eingelassen. Dass die Pläne jetzt so löchrig sind ist also definitiv im Interesse der Konzerne. Französische Medien deckten erst kürzlich auf, dass die Position der französischen Regierung sogar von einem Mitglied der französischen Konzernlobby MEDEF mitverfasst wurde.  

Haben die EU-Pläne noch weitere Schwächen? 

Die EU verpflichtet Konzerne auch nur dann zu mehr Steuertransparenz, wenn sie zwei Jahre hintereinander mehr als 750 Millionen Euro Umsatz gemacht haben. Damit wären aber rund 90 Prozent aller multinationalen Konzerne gar nicht betroffen. Enttäuschend ist auch, dass einige wichtige Daten nicht mitveröffentlicht werden müssen – insbesondere Geldflüsse innerhalb von Konzernen. Doch damit nicht genug: Konzerne können die öffentlichen Berichte sogar aufgrund „wirtschaftlicher Nachteile“ um bis zu fünf Jahre verzögern. All das zusammengenommen schwächt die Pläne sehr stark.  

Was wird passieren, wenn die Pläne so umgesetzt werden? 

Wir befürchten, dass Konzerne ihre Profite in Zukunft noch stärker in Gebiete außerhalb der EU verschieben, um die Offenlegungspflichten zu umgehen. Damit wäre das Gegenteil von dem erreicht, was wir fordern und was die EU-Pläne angeblich erreichen wollen.  

Wie geht es jetzt weiter? 

Die Kommission muss die EU-Einigung von letzter Woche billigen, das EU-Parlament und der EU-Rat darüber abstimmen. Realistischerweise ist jedoch damit zu rechnen, dass das noch im Juni passiert. Doch das ist sicher nicht das Ende. Die EU-Regelung soll zumindest nach vier Jahren evaluiert werden. Wir werden uns dafür einsetzen und den Druck aufrecht erhalten, dass Verbesserungen hier früher erzielt werden.

Die G7 haben gestern eine Einigung zu einer globalen Mindeststeuer erzielt. Kommt jetzt endlich ein global gerechtes Steuersystem?

Leider nein. Der angepeilte Mindeststeuersatz von 15 Prozent ist sehr niedrig und droht so, das Steuerdumping weiter anzuheizen. Außerdem – und das ist das noch schwerere Problem – profitieren von der Reform nur die reichen Staaten. Denn die zusätzlichen Einnahmen der Mindeststeuer fließen dorthin, wo die Konzerne ihren Sitz haben, also an Staaten wie Deutschland oder die USA. Die G7 maßen sich hier an, Steuerregeln für die ganze Welt zu gestalten um sich selbst den Löwenanteil der Einnahmen zu sichern. Attac und internationale Steuerexpert*innen fordern, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen nicht an Konzernsitzländer gehen, sondern dorthin, wo die Gewinne tatsächlich erwirtschaftet werden. Die Vorschläge dafür liegen unter dem Stichwort „Gesamtkonzernsteuer“ seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Alle global erzielten Gewinne eines Konzerns sollen je nach realer Wertschöpfung, etwa nach Zahl der Mitarbeiter*innen, Vermögenswerten und Umsatz, auf Länder aufgeteilt und dann entsprechend besteuert werden. 

Autoren

 
Nach oben scrollen