«Unter dem Boden schlummern ganze Wälder» – darum dreht Schlöndorff jetzt in Afrika

Ein wacher und streitbarer Zeitgenosse ist der deutsche Regisseur seit je. Aber wer hätte erwartet, dass er ein Begrünungsprojekt im Sahel in den Fokus nimmt? Das Bäuerliche liege ihm im Blut, verrät er – und die grossen Produktionen seien ihm schlicht verleidet.

David Signer, Dakar
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Auch wer Bäume will, muss man klein anfangen: Im senegalesischen Dorf Koyli Alpha pflegen Freiwillige die Setzlinge für die «Grüne Mauer».

Auch wer Bäume will, muss man klein anfangen: Im senegalesischen Dorf Koyli Alpha pflegen Freiwillige die Setzlinge für die «Grüne Mauer».

Benedicte Kurzen / Noor / Laif

Der deutsche Filmregisseur Volker Schlöndorff blickt auf ein imposantes Lebenswerk zurück. Für «Die Blechtrommel» erhielt er 1979 den Oscar. Er arbeitete mit Stars wie Sam Shepard («Homo Faber»), John Malkovich und Dustin Hoffman («Tod eines Handlungsreisenden»). Aber der 81-Jährige versucht sich an immer neuen Stoffen und Formaten.

Gegenwärtig dreht er in Afrika einen Dokumentarfilm über die «Grüne Mauer». Damit ist das grosse Projekt gemeint, mit dem Pflanzen von Bäumen den Vormarsch der Wüste im Sahel aufzuhalten. Mitte November machte Schlöndorff in Dakar Station; bei einem Treffen in der Friedrich-Naumann-Stiftung erzählt er voller Begeisterung von seinem neuen Werk, das nächstes Jahr fertig werden soll. In Niger, Mali, Ghana und Burkina Faso hat er bereits gedreht, aber auch in Indien und Australien. «Es ist ein Langzeitprojekt», sagt er, «da man den Bäumen ja schliesslich nicht beim Wachsen zuschauen kann.»

Ein grüner Gürtel durch Afrika

Die Sahelzone wird von über 300 Millionen Menschen bewohnt, mehrheitlich Kleinbauern. «Mit jeder Generation werden die landwirtschaftlichen Parzellen weiter aufgeteilt und werden immer kleiner», erklärt Schlöndorff, «zudem schrumpfen die Erträge wegen der Dürren und der Desertifikation. Auch machen sich die schädlichen Folgen der Monokulturen bemerkbar, die vielerorts von den Kolonialmächten eingeführt wurden, in Senegal zum Beispiel der Erdnussanbau.»

Als Gegenmassnahme rief die Afrikanische Union 2005 die «Great Green Wall»-Initiative aus. Die Idee war, einen 7700 Kilometer langen und 15 Kilometer breiten grünen Gürtel von Dakar bis nach Djibouti durch die Wüste zu ziehen. Wie Schlöndorff jedoch richtig bemerkt, wurde das Projekt bisher nur in Senegal systematisch umgesetzt. Das hat mit dem mangelnden Willen und der Korruption der Regierungen zu tun, mit dem jihadistischen Terror in den betroffenen Gebieten, aber auch mit falschen Ansätzen. Denn mit Baumschulen allein ist es nicht getan. Der bestehende Baumbestand muss erhalten werden, die Baumsorten, die gepflanzt werden, müssen dem harschen Klima angepasst sein, sodann braucht es Pflege, Schutz und Überwachung. All dies geht nur mit dem Einbezug der lokalen Bevölkerung.

Damit die Setzlinge einen guten Start haben, umgibt man die Wurzeln mit einer Mischung, welche die Pflanze nährt. Die Aufnahme entstand in Belvedere in Senegal.

Damit die Setzlinge einen guten Start haben, umgibt man die Wurzeln mit einer Mischung, welche die Pflanze nährt. Die Aufnahme entstand in Belvedere in Senegal.

Sadak Souici / Le Pictorium / Imago
Alle Dorfbewohner arbeiten am Begrünungsprojekt mit – auch im Corona-Jahr 2020.

Alle Dorfbewohner arbeiten am Begrünungsprojekt mit – auch im Corona-Jahr 2020.

Sadak Souici / Le Pictorium / Imago

Hier kommt Tony Rinaudo ins Spiel, der in Schlöndorffs Film eine prominente Rolle spielt. «Der australische Agronom Rinaudo entdeckte, dass selbst dort im Sahel, wo an der Oberfläche alles tot aussieht, unter dem Boden ganze Wälder schlummern. Besser, als neue Bäume zu pflanzen, ist es, dieses schlummernde, unterirdische Geflecht durch Bewässerung und intelligentes Beschneiden wieder zum Leben zu erwecken», sagt er. «Farmer-managed natural regeneration» wird diese Methode der Wiederbegrünung von verarmten und entwaldeten Böden genannt, bei der die Bauern das noch vorhandene Wurzelwerk nutzen und zum neuerlichen Austreiben bringen.

Für die Entdeckung und Entwicklung dieser Methode erhielt Rinaudo 2018 den Right Livelihood Award, der auch als Alternativer Nobelpreis bezeichnet wird. «In Niger, wo er sich 20 Jahre lang aufhielt, konnte Rinaudo mit dieser Technik 60 Millionen Hektaren begrünen», sagt Schlöndorff. «Man schätzt, dass man so auf lange Sicht 1,2 Milliarden Hektaren Land wieder fruchtbar machen könnte. Das wären 7 Prozent der Erdoberfläche.»

Ein alter Weisser, der Afrika rettet?

Schlöndorff interessiert sich allerdings nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschen. Er ist fasziniert von den Veränderungen, die er bei der Dorfbevölkerung beobachten konnte, während sich die Pflanzenwelt regenerierte. «Nicht nur der Boden, auch die Hoffnung wird wiederhergestellt.»

Den Alternativen Nobelpreis erhielt Rinaudo zusammen mit Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso. Dem 1941 geborenen Ackerbauern gelang es ab Ende der siebziger Jahre, eine «Zai» genannte traditionelle Anbaumethode wiederzubeleben und weiterzuentwickeln. Dabei hackte er Löcher in den trockenen Boden und legte eine Mischung aus Hirsekörnern, Kuhdung, Blättern und Asche hinein. Zudem bremste er mit dem Anhäufen von Steinen das Abfliessen des Regenwassers.

Mit der Technik schaffte er es, aus den durch jahrelange Dürren anscheinend zerstörten Böden wieder gute Hirseerträge herauszuholen, und aus dem Samen im Dung entstand schliesslich ein ganzer Wald. Seine Methode verbreitete sich im Laufe der Jahre über die Landesgrenzen hinaus. «Ich habe Sawadogo vor ein paar Jahren interviewt», sagt Schlöndorff. «Leider war er jedoch schon ziemlich schwach und wirkte uralt, obwohl er fast gleich alt ist wie ich. Aber ich habe schliesslich auch nicht in der Sahara gelebt.»

Volker Schlöndorff.

Volker Schlöndorff.

Imago

Schlöndorffs Film trägt den Arbeitstitel «Der Waldmacher». Das ist der Übername des 63-jährigen Rinaudo. «Inzwischen haben mir jedoch Leute, vor allem aus den USA, gesagt, dass ich – als alter weisser Mann – unmöglich einen Film über einen alten Weissen drehen könne, der Afrika rette. Also werde ich jetzt nicht mehr so sehr auf ihn fokussieren und habe zwei, drei afrikanische Filmer engagiert, die die Probleme und Aktivitäten in ihrer Heimat dokumentieren. Eine Art Postkarten aus verschiedenen Ländern. Jemand aus Ghana zeigt zum Beispiel, wie Holzkohle aus dem Land nach Saudiarabien exportiert wird, damit sie dort Feuer für ihre Barbecues machen können.»

Bronzezeit mit Handy

In Ländern wie Senegal ist Schlöndorff lediglich mit einem lokalen Kameramann und einem Tontechniker unterwegs. Es wird viel improvisiert. «Dieser Spielraum für Spontaneität macht Spass», sagt er. «Grosse Spielfilme reizen mich nicht mehr. Beim letzten Mal, als ich das machte, überkam mich schon am Morgen früh Langeweile, als ich nur daran dachte, dass ich jetzt zum Dreh fahren sollte.» Es sei allerdings schwierig, für so ein Projekt Geld aufzutreiben. «Das Thema betrifft ja auch nur 300 Millionen Menschen . . .»

Die Gleichgültigkeit beschränke sich allerdings nicht auf den Westen, sagt er. «Die meisten afrikanischen Regierungen interessieren sich kaum für die Bauern und ökologische Fragen. Das gilt selbst für die Landwirtschaftsministerien. Ein Chefbeamter erpresste 5000 Dollar Spesen von uns, nur damit er mit uns zu den Wiederaufforstungsgebieten hinausfuhr.»

Schlöndorff fragt die jungen Leute im Sahel immer wieder, unter welchen Bedingungen sie in den Dörfern bleiben würden. «Wenn wir von der Landwirtschaft leben könnten und Strom und Wasser hätten», antworten sie ihm. «Aber die Regierungen wollen lediglich die Städte entwickeln, Flughäfen bauen und Investoren anlocken.» Und staunen dann über die Landflucht und die wachsenden Slums, könnte man hinzufügen.

Auch mit den religiösen Autoritäten gebe es manchmal Ärger, sagt er. «Einmal filmten wir auf einem Dorfplatz und fragten die Frauen, warum sie so viele Kinder hätten. Prompt gab es Probleme mit dem Imam.»

Das Afrikavirus hat Schlöndorff erwischt, als er vor zwölf Jahren mit dem damaligen Bundespräsidenten Köhler unterwegs war. «In den folgenden Jahren reiste ich privat viel herum auf dem Kontinent», sagt er. «Am liebsten ging ich in den äthiopischen Bergen wandern. Da trifft man ja zum Teil auf Lebensweisen wie im Mittelalter oder aus der Bronzezeit. Aber mit Handy.»

Er erzählt, dass er sich um eine Filmschule in Rwanda kümmere. «Ich versuche die jungen Filmer zu ermuntern, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Also nicht nach Cannes zu schielen. So produzierten wir einen Film über einen Coiffeursalon, und jetzt arbeiten wir an einer Onlineserie über Dienstboten. Komisch und absurd.»

Bauern sind Beobachter

Zur agrarischen Welt empfindet Schlöndorff eine Affinität. «Ich bin im Taunus aufgewachsen, mein Vater war Landarzt. Die sogenannte Bauernschläue hat mich immer beeindruckt. Bauern sind Beobachter. Sie schauen immer sehr genau, was der andere macht.» Er verweist auf seinen Film «Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach» aus dem Jahr 1971, in dem es um einen historisch verbürgten Überfall von mittellosen Bauern und Taglöhnern aus Hessen auf eine Postkutsche im Jahr 1822 geht. Er erwähnt auch den Bauernhof, den er später in der Toskana betrieb. «Aber gut», fügt er hinzu, «das war eher Luxus.»

Schlöndorff ist frei von Starallüren. Wenn er spricht, ist er ganz bei der Sache, und er macht sich lustig über sich selbst, darüber, dass er alle Namen googeln muss, weil er sie vergisst; bei der Erwähnung von Sawadogo sagt er: «Jetzt ist es mir für einmal ohne Verballhornung geglückt.»

Es ist beeindruckend, mit welchem Feuereifer er sich auch in seinem hohen Alter immer noch ans Werk macht, welche Strapazen er auf sich nimmt und welche Risiken er eingeht. «Der Film wird eine Erfolgsgeschichte erzählen», sagt er. «Wenn er fertig wird.»