Der Autor

Prof. Dr. Michael Brzoska ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und war bis 2016 Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH).

Zeitenwende: Wie groß ist die Herausforderung für die deutsche Außenpolitik?

Die außenpolitische Problemagenda folgt nicht den im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbarten Prioritäten. Die Rahmenbedingungen haben sich durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verschlechtert. Unverändert bleibt der Bedarf an multilateralen Lösungsansätzen und internationaler Kooperation. Die Anforderungen an deutsche Außenpolitik wachsen – und damit auch die Gefahr einer Überdehnung von Ansprüchen und Erwartungen.


Seit dem 24. Februar 2022 wird die deutsche Außenpolitik von einem Thema dominiert: Wie können wir die Ukraine unterstützen, ohne selber übergroßen Schaden zu nehmen, wirtschaftlich oder indem Russland den Krieg auf NATO-Gebiet ausweitet? Dabei war die 2021 gewählte Bundesregierung mit ganz anderen außenpolitischen Zielen angetreten. An erste Stelle stellten die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag für die Zeit 2021–2025 die diplomatische Flankierung ihrer Klimapolitik. Als sichtbares Zeichen der Bedeutung des Themas wurde mit Jennifer Morgan eine Sonderbeauftragte für internatio­nale Klimapolitik berufen. Weitere Schwerpunkte rot-grün-gelber Außenpolitik im Koalitionsvertrag: Stärkung der EU und die internationale Förderung von Menschenrechten, Rechten von Frauen, der LGBT-Community und im digitalen Raum. Angekündigt wurde eine wertebasierte und europäischere Außenpolitik „aus einem Guss“. 

Durch die russische Intervention in der Ukraine haben sich die Aufgaben für die deutsche Außenpolitik deutlich verschoben, ohne sich grundsätzlich zu ändern. Ihre Grundpfeiler sind erschüttert. Vorrangig gilt das für das Verhältnis zu Russland, von dem es im Koalitionsvertrag für die Periode 2021–2025 noch hieß: „Wir wissen um die Bedeutung von substantiellen und stabilen Beziehungen und streben diese weiterhin an.“ Nun aber liegt die von Deutschland mitentwickelte europäische Friedens- und Sicherheitsordnung in Scherben. Weitere Elemente der Außenpolitik, die neu gedacht werden müssen, sind 

  • die Bedeutung eigener wirtschaftlicher Interessen in den Beziehungen zu anderen, insbesondere autoritären Staaten, 
  • die Zukunft des Multilateralismus und schließlich 
  • das Selbstverständnis Deutschlands als Zivilmacht. 

Mit der Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 verkündet hat, verschlechtern sich zudem die Bedingungen für die Umsetzung globaler Ziele, wie die außenpolitische Klima-Agenda und die in den Vereinten Nationen vereinbarte Agenda 2030 mit ihren 17 Social Development Goals (SDG).

Wie weiter mit der Sicherung von Frieden und Sicherheit in Europa?
Die Führung Russlands hat mit dem Angriff auf die Ukraine grundlegende Prinzipien sowohl des Völkerrechts im Ganzen als auch speziell von Vereinbarungen zu Frieden und Sicherheit in Europa verletzt. Trotzdem bleibt Russland ein wichtiger Teil der internationalen…

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