Ralf Südhoff ist Direktor des Centre for Humanitarian Action, einem unabhängigen Thinktank für humanitäre Hilfe in Berlin. Zuvor arbeitete er als Direktor des UN-Welternährungsprogramms unter anderem in Jordanien und in der Syrienhilfe sowie als Referent der damaligen Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Uschi Eid.
Das Timing könnte nicht besser sein: Am heutigen Montag beginnt der größte humanitäre Gipfel der Welt, das Europäische Humanitäre Forum in Brüssel. Dort trifft sich das Who's who der Vereinten Nationen, Hilfsorganisationen und politischen Entscheidern, einschließlich der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und ihren europäischen Kollegen. Zwei Tage lang werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die eskalierenden Krisen in Palästina, der Ukraine, im Jemen und am Roten Meer diskutieren, aber auch über das Leid, das völlig unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, etwa im Sudan, stattfindet. Es geht um die vielleicht elementarste aller Fragen, mit der sich Politik beschäftigen kann: Wie können wir das Überleben von Millionen Menschen in größter Not sichern?
Die Bezeichnung Millionen grenzt dabei an eine Untertreibung, sind doch mittlerweile mehr als 300 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Doch bei der geleisteten Hilfe droht ein dramatischer Wendepunkt:
Einerseits steigt die Not und der Bedarf an humanitärer Hilfe schon seit rund 20 Jahren drastisch an – durch mehr und viel längere Konflikte weltweit sowie die bereits verheerenden Folgen des Klimawandels. Noch Anfang der 2000er-Jahre lag der globale Bedarf an humanitärer Hilfe bei rund 2 Milliarden US-Dollar pro Jahr – heute liegt er zwischen 45 und 50 Milliarden US-Dollar jährlich.
Deutschland ist zweitgrößter Geber der Welt
Andererseits gab es trotz des permanenten Krisenmodus lange gute Nachrichten: Zumindest in Maßen stieg die international bereitgestellte humanitäre Hilfe, auch dank Deutschland. War Berlin bis vor etwa zehn Jahren noch ein humanitärer Zwerg, hat es sich seitdem zum zweitgrößten Geber der Welt aufgeschwungen. Doch diese Zeiten sind vorbei: Die deutsche Regierung hat gerade das zweite Jahr in Folge ihre humanitäre Hilfe zusammengestrichen, insgesamt um über 30 Prozent. Und die USA als größter Geber der Welt planen Ähnliches, ganz zu schweigen von der Frage, wie es in einer nicht unwahrscheinlichen Trump-2.0-Ära mit dem US-Engagement weitergehen wird.
Die drastischen Folgen: Schon 2023 konnten nur noch rund 40 Prozent der dringendsten Hilfsprogramme weltweit finanziert werden. Während die Not größer wird, reduziert sich die Hilfe drastisch. Plus: Sie wird viel zu schlecht koordiniert – gerade in Europa, wie wir in einer neuen Studie (PDF) belegen. Ein bis vor Kurzem beteiligter europäischer Regierungsvertreter beschreibt dies so: "Die Koordination der Hilfe unter den Gebern ist weitgehend chaotisch und wirkungslos."
Sehr ungleiche Verteilung der Hilfen
Dies geht zulasten von Millionen Menschen in größter Not, denen auch mit den vorhandenen Ressourcen viel besser geholfen werden könnte. Denn die Folgen sind fatal: Beispielsweise wird die Hilfe in manch einem Krisengebiet immerhin zu 70–80 Prozent finanziert – in anderen, "vergessenen Krisen" kommen nicht einmal 7–8 Prozent der benötigten Mittel zusammen. Dabei mangelt es nicht an Räumen oder Foren, zumindest für die EU-Mitglieder sich abzustimmen. Monatlich tagt zum Beispiel der sogenannte Cohafa, ein Ausschuss zur humanitären Hilfe der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Teilnehmende schätzen ihn punktuell zum Informationsaustausch, wenn eine neue, noch unübersichtliche Krise wie in Palästina ausgebrochen ist – aber darüber hinaus? Ein reiner "Briefingmarathon", sagt ein ehemaliges Mitglied, und ein Kreis viel zu diverser Mitgliedsstaaten, die teils mangels Interesse Berufsanfänger in den Cohafa entsenden.